„Ich weiß, wie das aussieht. Aber ich schwöre: Das war nicht meine Schuld.“
Es gibt viele Arten zu sterben. Heldisch. Tragisch. Sinnlos. Mein Tod war… sagen wir: inhaltlich ironisch. Nicht auf diese platte „oh nein, sie wurde vom Truck überfahren“-Isekai-Art, sondern wirklich ironisch. Manche Leute sterben beim Fallschirmsprung. Andere im Schlaf. Ich bin gestorben, weil ich beim Überqueren der Straße einen schlecht geschriebenen Fantasyroman rezensiert habe. Laut. Mit Gestik.
Und das Universum, dieses humorlose Arschloch, fand das offenbar nicht so witzig wie ich. Der Roman, um den es ging, hieß „Chroniken des Ewigen Nebels“. Ich hatte ihn für 4,99 € in einem Ramschladen mitgenommen, weil ich dachte, mein Hirn könnte ein bisschen Kitsch vertragen. Was ich bekam, war ein 430-Seiten-Wordpad-Dokument mit dem Ausdrucksvermögen eines schlecht trainierten Chatbots. „Sein Blick bohrte sich durch die finstere Dunkelheit, als wolle er die Nacht selbst bezwingen.“
Ich meine… was soll das bitte heißen? Ich stand auf dem Mittelstreifen. Eine Tüte billiger Bücher in der einen Hand, der Roman in der anderen. Mein Blick: tödlicher als der Verkehr. Ich las laut vor. Für niemanden. Für mich selbst. Ein Passant neben mir drehte sich peinlich berührt weg. Ich grinste nur und setzte an:
„Der Wind sprach in alten Zungen.“
„Junge, wenn der Wind Zungen hat, brauchst du keinen Held, sondern einen Exorzisten.“
Und genau in dem Moment – exakt da – kam der LKW.
Kein episches Licht. Keine sanfte Stimme. Keine zarte Melodie, die mir sagte: „Deine Zeit ist gekommen.“ Nur ein kurzer, dumpfer Aufprall, ein letztes „Oh–“ und ein ganz deutliches „Das war’s dann wohl.“
Als ich wieder zu mir kam, dachte ich erst, ich wäre im Krankenhaus. Dicke Kissen. Übertrieben weich. Goldene Tapeten. Ein Kronleuchter, der aussah wie der Bastelversuch eines feuchten Barocktraums. Und fünf Menschen in Kutten, die um mein Bett herumstanden, mit dem Gesichtsausdruck von Leuten, die gerade eine Religion gegründet haben. Großartig. Ich war in einer Sekte gelandet. Oder tot. Oder beides. Die Frau vorne verbeugte sich tief.
„Erhabene, ihr Geist ist zurückgekehrt. Die Weihe war erfolgreich.“
Ich versuchte, mich aufzusetzen. Mein Kopf pochte, mein Körper fühlte sich… falsch jung an. Weich. Gelenkig. Ich sah an mir herunter. Blasse Haut. Feine Finger. Eine Brust, die nicht meine war, zumindest nicht in der bisherigen Version meines Lebens. Ich war wiedergeboren worden. Als Teenagerin. In einem Fantasysetting. Mit einem Kleid, das aussah, als hätte jemand Sailor Moon mit Downton Abbey fusioniert. Ich war also tatsächlich in einem verdammten Isekai gelandet. Die Priesterin sprach weiter, in einem Tonfall, den man sonst nur bei Bankettreden und Telefongottesdiensten hört:
„Möge dein Licht uns leiten, o Tochter der Reflexion. Du bist Waltraud von Eirenhall, siebente Trägerin des Sigils von Sael. Deine Rückkehr war prophezeit, und dein Blick allein wird unsere Schatten bannen.“
Ich schielte zur Decke.
„Waltraud? Ernsthaft? Ich hab mich gerade damit abgefunden, dass ich tot bin – und jetzt heißt mein neues Ich auch noch wie eine pensionierte Orgelspielerin?“
Sie erstarrte. Die Luft im Raum wurde still. Einer der Männer hinter ihr ließ beinahe eine Pergamentrolle fallen.
„Sie… sie hat gesprochen! Und gleich beim ersten Wort eine Prüfung der Demut auferlegt!“
Ich starrte. Sie starrten zurück. Ich seufzte. Ich habe nie darum gebeten, wiedergeboren zu werden. Ich hatte keinen Wunsch, keine Liste unerfüllter Träume. Ich wollte einfach nur meine Ruhe. Einen Tee. Und vielleicht das nächste Kapitel meiner Hasslektüre. Aber stattdessen lag ich hier, umgeben von religiösem Fanatismus, in einem Körper, der zu jung war, um Whisky zu trinken, und mit einem Namen, der mich jedes Mal innerlich zucken ließ. Waltraud. Von. Eirenhall. Klang wie eine Opernsängerin mit Schwertlizens.
Ich schwöre, ich wollte freundlich sein. Ich wollte nicht gleich zu Beginn für Verwirrung sorgen oder jemandem Angst machen. Aber als der Jüngste der Priester mich fragte:
„Erhabene, seid Ihr bereit, das Licht in unsere Welt zu bringen?“
antwortete ich nur:
„Kommt drauf an. Gibt’s WLAN?“
Drei fielen in Ohnmacht. Einer murmelte „Ah, die Sprache der alten Äonen…“ Die Älteste kniete vor meinem Bett und küsste meine Fingerspitzen. Und ich wusste: Ich bin so was von am Arsch.
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