Elara Schatten im Nebel – Kapitel 1

Die Suchende und der Rufer

Die Morgensonne kämpfte sich mühsam durch die dichten Nebelschwaden, als Elara durch die leeren Straßen Berlins schritt. Ihr Mantel, der mit abgenutzten, aber sorgsam reparierten Nähten versehen war, schützte sie vor der feuchten Kälte. Die Kapuze saß tief über ihrem Gesicht, doch man konnte das glatte, dunkelbraune Haar erahnen, das darunter hervorschaute. Ihre Augen, von einem leuchtenden Grün, schienen alles um sie herum aufmerksam aufzunehmen. Elara war eine junge Frau, kaum älter als 22 Jahre, mit einem schlanken, drahtigen Körper, der von einem Leben voller Bewegung und Entbehrungen zeugte.

Sie trug eine abgewetzte Tunika aus dunkelgrauem Stoff, darüber einen Gürtel, an dem ein Dolch und einige kleine Lederbeutel befestigt waren. Ihre Stiefel waren aus festem Leder, ein Überbleibsel einer besseren Zeit, das sie immer wieder flickte, um sie tragbar zu halten. Elaras Kleidung war praktisch, jedoch nicht ohne einen gewissen Stil. Ein rotes Tuch, um ihren Hals geschlungen, war das einzige, was ihre Erscheinung auflockerte. Es war ein Erinnerungsstück, das sie stets bei sich trug, auch wenn sie niemandem erzählte, was es für sie bedeutete. Elara war eine Suchende. Es war keine Rolle, die man sich aussuchte, sondern eine, in die man gedrängt wurde, wenn man den Mut hatte, die Dunkelheit zu durchdringen. Ihre Tage waren geprägt von Streifzügen durch verfallene Gebäude, dem Entschlüsseln alter Karten und dem Sammeln von Artefakten, die Hinweise auf die wahre Natur des Nebels und der Schatten liefern konnten. Ihr Ziel war klar: Antworten zu finden, die vielleicht einen Weg aus dem wachsenden Albtraum boten, der Berlin und das Havelland umklammerte. Heute führte sie ihr Weg zu einer Werkstatt im Industrieviertel. Die Werkstatt gehörte einem älteren Maschinisten namens Rurik, der dafür bekannt war, auch ungewöhnliche Artefakte zu untersuchen.

Elara hielt eine kleine bronzene Kugel in der Hand, die sie in den Ruinen eines Hauses gefunden hatte. Die Oberfläche war mit seltsamen Gravuren bedeckt, die aussahen wie Runen, aber keine, die sie kannte. Ihr Instinkt sagte ihr, dass dieses Artefakt wichtig war. Die Werkstatt kam in Sicht, ein unscheinbares Gebäude mit rußgeschwärzten Fenstern. Der Eingang war eine schwere Metalltür, die bei jedem Öffnen ein scharfes Knarren von sich gab. Über dem Eingang hing ein verblasstes Schild, auf dem „Ruriks Mechanik und Reparaturen“ in abblätternder Schrift zu lesen war. Drinnen war die Luft erfüllt von dem beißenden Geruch nach Öl und Metall, gemischt mit einem Hauch von Ruß und heißem Dampf. Zahnräder, Federmechanismen und halbfertige Apparaturen bedeckten jeden verfügbaren Platz. In der Nähe des Generators stapelten sich schwere Metallkisten, aus denen gelegentlich ein leises Summen drang. Auf einem Wandregal lagen Gläser mit seltsam schimmernden Flüssigkeiten, die Elara immer unruhig machten. An den Wänden hingen Zeichnungen, Pläne und Diagramme, die von einem chaotischen, aber genauen Verstand zeugten. Die Werkstatt war ein Ort, an dem alte Magie und moderne Mechanik aufeinandertrafen. Runenbeschriebene Metallplatten lagen neben Werkzeugen, die mit Dampf betrieben wurden, und glühende Kohlen spendeten Licht, wo Gaslampen längst ausgefallen waren. Rurik, ein Mann in den späten Fünfzigern, stand gebückt über einer Werkbank. Er war von kräftiger Statur, mit einem von Ruß geschwärzten Gesicht und einer auffallend ruhigen Aura, die im Kontrast zu seiner grobschlächtigen Erscheinung stand. Sein schütteres graues Haar war unter einem ölverschmierten Tuch verborgen, und er trug einen schweren Lederschurz über einem abgenutzten Hemd. Seine Hände waren kräftig und gezeichnet von Narben, doch sie bewegten sich mit einer Präzision, die seine jahrelange Erfahrung zeigte.

„Ah, Elara,“ grummelte Rurik, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. Seine Stimme war tief und voller Resonanz. „Was hast du diesmal gefunden?“ Elara trat vor, legte die Kugel vorsichtig auf die Werkbank und zog ihre Kapuze zurück. „Das hier. Ich weiß nicht, was es ist, aber die Gravuren… sie sehen nach etwas aus, das mehr als nur Dekoration ist.“ Rurik hob die Kugel an und hielt sie gegen das Licht einer flackernden Lampe. Seine Augen, klein, aber scharf wie die eines Raubvogels, untersuchten die Runen eingehend. „Hast du es in einem Haus gefunden oder war es vergraben?“ fragte er leise, ohne den Blick von der Kugel abzuwenden. „In einem eingestürzten Haus, nahe der Grenze zum Havelland,“ antwortete Elara. „Es war versteckt, als wollte jemand sicherstellen, dass es nie gefunden wird.“ Rurik nickte kaum merklich, zog ein dickes Buch hervor und blätterte durch die zerfledderten Seiten. Er verglich die Gravuren mit den abgebildeten Symbolen und murmelte gelegentlich vor sich hin. „Diese Gravuren ähneln den alten Siegelrunen,“ sagte er schließlich. „Wenn das stimmt, dann hast du etwas gefunden, das besser geschützt gewesen wäre.“

Elara kannte Rurik seit mehreren Jahren. Sie war als junges Mädchen zufällig auf ihn gestoßen, als sie in einem verlassenen Viertel Schutz suchte. Damals hatte er sie vor einer Gruppe Straßenräuber gerettet und in seine Werkstatt gebracht. Seitdem kam sie immer wieder zu ihm, nicht nur wegen seiner scharfsinnigen Analysen, sondern auch, weil sie seine wortkarge, aber ehrliche Art schätzte. Er war für sie zu einer Art Mentor geworden, der ihr half, die Rätsel der alten Welt besser zu verstehen. „Was willst du damit machen?“ fragte Elara schließlich. Ihre Augen ruhten auf der Kugel, die jetzt in einem Holzhalter lag. „Zuerst analysiere ich sie,“ sagte Rurik, seine Stimme plötzlich strenger. „Wenn das wirklich eine Verbindung zu den Siegeln hat, dann dürfen wir uns keine Fehler erlauben. Die falschen Hände könnten das Ding benutzen, um alles, was noch heil ist, zu zerstören.“

Elara nickte und trat näher, während Rurik begann, seine Werkzeuge bereitzulegen. Die Werkstatt war für einen Moment nur von dem rhythmischen Klacken der Zahnräder und dem leisen Summen des Generators erfüllt, als ein seltsames, tiefes Brummen durch den Raum lief und beide innehalten ließ. Das Brummen wurde lauter, ein tiefes, vibrierendes Geräusch, das durch den Boden der Werkstatt drang. Rurik runzelte die Stirn, seine Augen ruhten kurz auf dem Generator, doch der lief gleichmäßig wie immer. Elara trat einen Schritt zurück und schaute sich alarmiert um. „Das kommt nicht von hier“, sagte sie schließlich. Ihre Stimme war ruhig, aber wachsam. Rurik nickte langsam und legte die Kugel vorsichtig zurück in den Halter. Er griff nach einer kleinen Apparatur, einer Art metallischem Hörrohr, und hielt es an die Wand, während er lauschte. Seine Miene verhärtete sich. „Es kommt von draußen“, murmelte er schließlich. „Bleib hier, ich sehe nach.“

Doch Elara schüttelte den Kopf. „Wenn es etwas mit der Kugel zu tun hat, bin ich vielleicht besser vorbereitet als du.“ Rurik schnaubte, doch er wusste, dass er sie nicht überzeugen konnte, hierzubleiben. Gemeinsam gingen sie zur schweren Metalltür, Rurik griff nach einem mechanischen Hebel, um die Verriegelung zu lösen. Als die Tür sich knarrend öffnete, schlug ihnen eine Welle kalter Luft entgegen. Der Nebel draußen war dichter geworden, fast undurchdringlich, und das Brummen vibrierte nun durch die Straßen. Elara kniff die Augen zusammen, ihre Hand wanderte instinktiv zu dem Dolch an ihrem Gürtel. „Das ist nicht nur ein Geräusch“, flüsterte sie. „Es bewegt sich.“ Das Brummen schien sich tatsächlich zu verändern, als würde es sich in Wellen ausbreiten, mal stärker, mal schwächer. Und dann, plötzlich, war es still. Eine unnatürliche, beklemmende Stille. „Das ist kein gutes Zeichen“, murmelte Rurik und schloss die Tür hinter ihnen wieder. „Wir sollten zurück in die Werkstatt. Wenn irgendetwas da draußen ist, finden wir mehr heraus, indem wir die Kugel analysieren.“

Doch bevor sie sich umdrehen konnten, blitzte ein Licht aus dem Nebel. Es war schwach, ein leuchtender Punkt, der sich langsam näherte. „Bleib zurück“, sagte Rurik scharf, griff nach einem langen Metallstab an der Wand, der an einer Klinge befestigt war. Elara blieb stehen, ihre Augen auf das Licht fixiert, während sich die feuchte Luft um sie herum wie ein Mantel legte. Das Licht bewegte sich ruckartig, fast unnatürlich, als würde es nicht von einer Hand, sondern von einem unsichtbaren Willen geführt. Es flackerte, einmal schwächer, dann stärker, und schien den Nebel um sich herum in Bewegung zu versetzen. Das Brummen kehrte zurück, leise zunächst, doch es schwoll an, als das Licht näher kam. „Das ist keine Laterne“, flüsterte Elara, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. Ihre Finger umklammerten den Griff ihres Dolches fester. Rurik stand regungslos, der Metallstab in seinen Händen leicht gesenkt, doch seine Augen musterten das Licht wachsam. Plötzlich blieb es stehen, vielleicht zwanzig Schritte entfernt. Der Nebel um das Licht verdichtete sich, bis es aussah, als würde eine schwarze Masse pulsierend um den Punkt kreisen. Dann hörte das Brummen erneut auf. Die Stille, die folgte, war beinahe schmerzhaft. „Zurück in die Werkstatt“, murmelte Rurik, seine Stimme jetzt gedrungen. „Schließe die Tür.“ Elara nickte, machte einen Schritt rückwärts, dann noch einen. Doch als sie sich umdrehte, hörte sie es. Schritte. Schwer, schlurfend. Sie wirbelte herum. Die schwarze Masse begann sich zu bewegen, nicht schnell, aber unaufhaltsam. Inmitten des Nebels schälte sich eine Silhouette heraus – humanoid, aber die Proportionen falsch, verzerrt. Der Nebel schien es zu umhüllen, zu tragen. „Rurik…“ Ihre Stimme war angespannt. „Das Ding kommt näher.“ Rurik knurrte leise, zog an einem kleinen Hebel an der Wand hinter sich, und ein mechanisches Summen erfüllte die Luft. Zwei Leuchten, die an den Ecken der Werkstatt angebracht waren, sprangen an, warfen kaltes, weißes Licht auf die Straße vor ihnen. Für einen Moment schien die Kreatur zurückzuweichen, das Licht traf ihre Konturen, doch dann schien sie sich dagegen zu stemmen. „Rein jetzt!“

Rurik stieß Elara sanft, aber bestimmt in die Werkstatt zurück. Er selbst folgte dicht hinter ihr, verriegelte die Tür mit einem lauten Knall und zog mehrere Riegel vor. „Was war das?“ fragte Elara keuchend, ihre Augen suchten Ruriks Gesicht, doch der alte Mann schüttelte nur den Kopf. „Ich weiß es nicht. Aber es hat mit dieser Kugel zu tun.“ Er deutete auf das Artefakt, das noch immer in seinem Halter lag. „Wir haben keine Zeit. Ich muss herausfinden, was das ist – und warum es etwas hierher zieht.“ Elara nickte, schluckte schwer und versuchte, ihren Atem zu beruhigen. Doch der Gedanke ließ sie nicht los: Was immer dort draußen war, es hatte sie gesehen – und es würde nicht aufgeben. Das Licht flackerte weiter im Nebel, blieb aber unverändert auf sie zuwandern. Rurik, ruhig und fokussiert, ließ das Metall in seiner Hand leicht schwingen. Die Klinge war mehr Werkzeug als Waffe, doch er wusste, wie er sie benutzen konnte, wenn es nötig wurde. „Elara, beobachte es weiter,“ murmelte er. Seine Augen glitten nur kurz zu ihr, bevor er sich wieder der Werkbank zuwandte. „Wenn es näher kommt, sag mir Bescheid.“ Sie nickte, auch wenn sie unsicher war, ob er es sah. Ihre Augen hafteten an der Lichtquelle, die sich manchmal fast zurückzuziehen schien, nur um dann wieder an Kraft zu gewinnen. Etwas daran war nicht nur unnatürlich, sondern auch zutiefst verstörend. Es schien fast so, als wäre es lebendig. Rurik hingegen begann mit der Untersuchung der Kugel, als wäre nichts gewesen. Seine Hände bewegten sich geschickt und präzise, während er ein kleines Linsensystem auf das Artefakt richtete und ein sanftes, bläuliches Licht darauf projizierte.

Die Gravuren auf der Kugel begannen schwach zu leuchten, als würden sie auf die Berührung reagieren. „Wie kannst du so ruhig bleiben?“ platzte Elara schließlich heraus, ohne den Blick vom Licht zu nehmen. Ihre Stimme zitterte leicht, was sie zu verbergen versuchte. Rurik hielt inne, seine Hände ruhten kurz auf der Werkbank. „Es ist nicht das erste Mal, dass etwas Ungewöhnliches vor meiner Tür auftaucht,“ antwortete er. „Die Stadt zieht Dinge an, die man nicht versteht. Und Panik…“ Er ließ den Satz unvollendet, aber die Botschaft war klar: Panik hilft niemandem. Elara presste die Lippen zusammen. Seine Gelassenheit faszinierte sie, aber sie frustrierte sie auch. Wie konnte er so tun, als wäre das alles normal? Der Gedanke daran, dass sich eine dunkle Kreatur im Nebel verbarg, ließ ihr Herz schneller schlagen. Doch sie zwang sich, tief durchzuatmen und die Stille zu beobachten. Das Licht blieb stehen. Die Luft vibrierte leicht, fast unmerklich. Dann, ohne Vorwarnung, hörte Elara ein leises Kratzen, als würde etwas Schweres über das Kopfsteinpflaster ziehen. Ihr Nacken kribbelte, und sie griff instinktiv fester nach ihrem Dolch. „Es bewegt sich wieder“, flüsterte sie. Rurik sah nicht auf, aber seine Stimme war scharf: „Wie nah?“ „Vielleicht zehn Schritte,“ antwortete sie, ihre Stimme flach. „Es… ich glaube, es sucht etwas.“ Plötzlich begann die Kugel auf der Werkbank stärker zu leuchten, und die Gravuren darauf veränderten sich. Rurik zog scharf die Luft ein, seine Finger huschten über das Artefakt, während er versuchte, die Veränderungen zu deuten. Immer wieder drehte er die Kugel in seinen Händen, prüfte die Linien und Runen unter verschiedenen Lichtwinkeln. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt. „Was machst du?“ fragte Elara, ihre Augen wanderten nervös zwischen der Kugel und der Lichtquelle im Nebel hin und her. „Ich glaube, das Ding da draußen und die Kugel sind verbunden,“ sagte Rurik knapp. „Die Gravuren… sie reagieren auf irgendetwas. Vielleicht auf die Präsenz dessen, was da draußen ist. Oder schlimmer: vielleicht auf einen Befehl.“ Er nahm einen dünnen Metallstab mit einer gebogenen Spitze und führte ihn über die Gravuren. Ein feiner, heller Ton erklang, fast wie ein Summen, das von der Kugel selbst zu kommen schien. Es vibrierte leicht, und Rurik hielt inne, die Augen angespannt auf die Veränderung gerichtet. „Es gibt ein Muster“, murmelte er. „Die Runen bilden eine Art Code. Sie öffnen… etwas. Aber wofür?“

Das Licht draußen begann plötzlich zu flackern, als ob es auf die Kugel reagieren würde. Es bewegte sich jetzt schneller, zögerte, kam dann wieder näher. Rurik hob den Kopf und starrte zur Tür. „Es weiß, dass wir es analysieren.“ Elara schauderte bei seinen Worten. „Kann es… uns sehen?“ „Vielleicht nicht direkt,“ antwortete Rurik, „aber es fühlt. Das Licht und die Kugel sind in Resonanz. Es ist, als ob wir einen Ruf beantwortet haben.“ Ein erneuter Blitz durchbrach den Nebel, diesmal begleitet von einem tiefen, metallischen Knirschen, das die Werkstatt erzittern ließ. Das Licht verschwand plötzlich, und die Dunkelheit draußen schien dichter, greifbarer. „Es ist weg,“ flüsterte Elara, ihre Stimme zitterte. Rurik hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Nicht weg. Es wartet.“ Ein gedämpftes Poltern ertönte, wie das Echo von Schritten, die sich um die Werkstatt bewegten. Das Summen der Kugel wurde intensiver, die Gravuren pulsierten jetzt in einem unregelmäßigen Rhythmus, fast wie ein Herzschlag. „Wir müssen schnell sein,“ murmelte Rurik und griff nach einem weiteren Werkzeug. „Ich glaube, die Kugel ist der Schlüssel. Aber wir wissen nicht, was sie öffnet.“ „Und wenn es etwas öffnet, das wir nicht kontrollieren können?“ fragte Elara, ihre Augen jetzt fest auf Rurik gerichtet. „Dann,“ sagte er und blickte sie ernst an, „hoffen wir, dass wir schneller sind als das, was da draußen ist.“ Ein lauter Knall ließ beide herumfahren. Die Tür vibrierte, und ein tiefer, gutturaler Laut durchbrach die Stille. „Elara, nimm deinen Dolch.“ Sie tat, wie ihr geheißen, und positionierte sich an seiner Seite. Ihre Hand umklammerte den Griff ihres Dolches, während Rurik einen letzten, prüfenden Blick auf die Kugel warf. „Bereit?“ fragte er leise. „Bereit,“ antwortete sie, auch wenn ihre zitternden Finger etwas anderes verrieten. Der Moment der Konfrontation war gekommen. Die Schritte draußen wurden lauter, schwerer, wie von etwas, das nicht für diese Welt gemacht war. Ein kratzendes Geräusch erklang, als ob scharfe Krallen über Metall zogen. Elara konnte ihren Atem spüren, der stoßweise kam. Sie starrte auf die Tür, die unter dem Druck leicht vibrierte. Dann, ohne Vorwarnung, schoss ein heller Lichtstrahl durch einen Riss in der Metallbarriere. „Es sucht nach einem Weg hinein,“ sagte Rurik ruhig, aber in seiner Stimme schwang etwas, das Elara nicht oft gehört hatte – eine Spur von Angst. Der Lichtstrahl begann sich zu bewegen, tastend, suchend. Das Summen der Kugel verstärkte sich, als ob sie antwortete. Rurik griff nach einem langen Hebel an der Wand, zog ihn mit einem Ruck, und ein tiefes Brummen durchzog die Werkstatt. Elektrisches Licht flutete den Raum, während Funken an einer Apparatur sprühten, die wie eine improvisierte Barriere wirkte. „Das wird es aufhalten… für eine Weile,“ murmelte Rurik. Doch kaum hatte er gesprochen, ertönte ein donnerndes Krachen, als ob etwas gegen die Tür geworfen wurde. Elara machte instinktiv einen Schritt zurück, ihre Augen suchten die Schatten, die sich in den Ecken der Werkstatt sammelten. Dann hörte sie es. Eine Stimme – tief, verzerrt, beinahe ein Flüstern, das ihre Gedanken zu durchdringen schien. „Gebt es zurück…“ Elara schüttelte den Kopf, als wollte sie das Flüstern abschütteln. „Rurik, hörst du das?“ „Ja,“ antwortete er, seine Augen auf die Kugel fixiert. „Es spricht durch die Verbindung. Es will die Kugel.“ „Was machen wir?“ Elara fühlte, wie ihre Finger feucht und rutschig wurden, während sie den Griff ihres Dolches umklammerte. Rurik nahm eine Zange und begann, an einem der Mechanismen an der Kugel zu arbeiten. „Ich werde versuchen, die Verbindung zu unterbrechen. Aber das wird riskant. Es könnte die Kreatur wütend machen.“ „Wütender, als sie es schon ist?“ Elara schnaubte, doch ihre Stimme zitterte. Ein erneuter Schlag traf die Tür, diesmal so heftig, dass sie sich leicht nach innen wölbte. Der metallische Klang hallte durch die Werkstatt, begleitet von einem kehligem Knurren, das sich in ein unheilvolles Lachen verwandelte. „Gebt es mir… und ich lasse euch gehen…“ Die Stimme kam von überall und nirgends, sie vibrierte in den Wänden und klang, als würde sie direkt in ihren Köpfen sprechen. „Es lügt,“ sagte Rurik leise. „Es wird uns nicht gehen lassen. Es kann uns nicht lassen. Nicht, solange wir die Kugel haben.“ „Und wenn wir sie ihm geben?“ fragte Elara, ihr Atem flach und hektisch. „Wäre das nicht… einfacher?“ Rurik hob den Kopf, seine Augen fest auf ihre gerichtet. „Und was, wenn es mit der Kugel mehr zerstört, als wir uns vorstellen können? Was, wenn wir das Letzte aufgeben, was die Welt vor dem Fall bewahren könnte?“ Bevor Elara antworten konnte, krachte die Tür auf, ein Teil des Metalls wurde nach innen gerissen, als wäre es Papier. Kaltes, glühendes Licht überflutete die Werkstatt, und die Kreatur trat ein. Sie war humanoid, doch ihr Körper war verzerrt, unnatürlich langgezogen, und ihre Haut war nicht aus Fleisch, sondern aus einer pulsierenden, schwarzen Substanz, die wie flüssiger Nebel waberte. Ihre Augen – zwei glühende Punkte – fixierten die Kugel. „Gebt… sie… mir,“ sagte sie, ihre Stimme ein grollendes Echo, während sie einen Schritt nach vorne machte. Rurik hob seine improvisierte Klinge, während Elara den Dolch in ihrer Hand fester umklammerte. „Du kannst sie nicht haben,“ sagte er ruhig, doch seine Haltung war angespannt. Die Kreatur hielt inne, als würde sie die beiden abschätzen. Dann sprach sie, diesmal klarer, schneidender: „Ihr versteht nicht, was ihr beschützt. Diese Kugel wird eure Welt zerstören, nicht retten. Gebt sie mir… oder sterbt.“ Elara trat einen Schritt nach vorne, ihre Augen fest auf die Kreatur gerichtet. „Warum willst du sie? Was wird passieren, wenn du sie hast?“ Die Kreatur lachte, ein widerhallendes, höhnisches Lachen. „Ihr seid nichts weiter als Kinder, die mit einer Flamme spielen. Gebt sie mir, und ich zeige euch Gnade.“ Rurik zögerte nicht. Mit einer schnellen Bewegung aktivierte er einen Mechanismus an der Kugel, und die Gravuren leuchteten hell auf, als ein lauter, pulsierender Ton den Raum füllte. Die Kreatur schrie auf, ihre Gestalt verzerrte sich, wurde instabil, doch sie trat weiter vor. „Elara, jetzt!“ rief Rurik. Elara stürzte sich nach vorne, der Dolch in ihrer Hand zielte auf das pulsierende Zentrum der Kreatur. Die nächsten Momente waren ein Chaos aus Licht, Dunkelheit und ohrenbetäubendem Lärm. Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Der Dolch drang nicht ein, sondern prallte ab, als würde er auf eine unsichtbare Barriere treffen. Die Kreatur warf Elara mit einer einzigen Bewegung zurück, und sie schlug hart gegen die Werkbank. Ein zischendes Lachen entwich ihr, die glühenden Augen verengten sich. „Ihr seid zu schwach,“ sagte sie. „Ihr versteht nicht, was diese Kugel wirklich ist. Sie ist kein Schlüssel – sie ist ein Tor.“ Rurik, der die Kugel weiterhin festhielt, rief: „Elara, steh auf! Wir müssen sie zurückdrängen!“ Er drehte an einem weiteren Mechanismus der Kugel, und plötzlich begann sie, in einem rhythmischen Muster zu vibrieren. Ein helles Licht erfüllte die Werkstatt, und die Kreatur schrie erneut, diesmal vor Schmerz. Elara rappelte sich auf, ihr Kopf pochte, doch sie griff erneut nach ihrem Dolch. „Was immer du tust, Rurik, mach es schnell!“ „Ich schließe das Tor!“ rief er zurück. Doch die Kreatur bewegte sich schneller, ihre Arme verlängerten sich, und sie erreichten beinahe die Kugel. Elara warf sich erneut vor, um Rurik Zeit zu verschaffen, und diesmal zielte sie auf die verzerrten Gliedmaßen der Kreatur. Der Dolch schnitt durch, und ein zähflüssiger, schwarzer Nebel strömte heraus. Die Kreatur schrie vor Wut, doch ihre Bewegung stockte. „Ihr werdet nicht gewinnen,“ zischte sie. „Das Tor wird sich öffnen, und ihr könnt es nicht aufhalten!“ „Wir werden sehen,“ sagte Rurik, und mit einem letzten Dreh an der Kugel setzte er eine finale Energie frei. Das Licht explodierte, und die Kreatur wurde von der Werkstatt hinausgerissen, zurück in den Nebel, während ein tiefes Dröhnen die Luft erfüllte. Als die Stille zurückkehrte, sackte Elara auf die Knie. „Haben wir es geschafft?“ fragte sie keuchend. Rurik ließ die Kugel sinken, die jetzt kalt und still war. „Für den Moment,“ sagte er. „Aber das war nur der Anfang.“ Elara hob den Kopf, ihr Atem beruhigte sich langsam. Sie sah die Werkstatt an, die jetzt von Ruß und Staub bedeckt war. Werkzeuge lagen verstreut, und eine der Lampen hing zerbrochen von der Decke. „Das Ding hat uns fast erwischt. Was machen wir, wenn es zurückkommt?“ Rurik blickte auf die Kugel, die still in seiner Hand lag. Die Gravuren, die zuvor geglüht hatten, schienen jetzt verändert, anders angeordnet. „Die Kugel… Sie hat etwas aufgezeichnet. Vielleicht Hinweise, vielleicht eine Warnung.“ Elara stand auf und ging zu ihm, ihre Schritte vorsichtig auf dem zerborstenen Boden. „Und? Können wir es lesen?“ „Ich werde es versuchen,“ murmelte Rurik, setzte die Kugel zurück in ihren Halter und zog ein neues Gerät hervor, eine Art Linsenmechanismus, der leise surrte, als er ihn aktivierte. „Aber wenn ich recht habe, dann deutet das auf etwas noch Größeres hin.“ „Noch größer?“ Elara hob eine Augenbraue. „Das war gerade eine wandelnde Albtraumkreatur. Wie viel größer soll es werden?“ Rurik drehte sich zu ihr um, seine Augen ernst. „Größer als eine Kreatur. Es geht um die Quelle des Nebels. Und wenn die Kugel ein Tor ist… dann haben wir es gerade nur knapp geschlossen. Aber die Frage bleibt: Wohin führt es?“

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