Das Flüstern des Nexus
Die Werkstatt von Rurik war nicht mehr weit, doch jeder Schritt dorthin schien schwerer als der letzte. Elara spürte die Last des Kindes in ihren Armen, doch es war nicht das Gewicht allein, das ihre Kräfte erschöpfte. Es war die Atmosphäre der Stadt, die sie auszehrte – der Nebel, der wie ein lebendiges Wesen zu atmen schien, die stumme Bedrohung, die in den Schatten lauerte. Ihre Begleiter bewegten sich leise, ihre Gesichter angespannt, während ihre Blicke immer wieder in die Dunkelheit schweiften. Der junge Mann hielt seine Axt fest umklammert, als wäre er seine letzte Hoffnung. Die Frau trug ihre improvisierte Waffe auf der Schulter, bereit, sie bei der geringsten Gefahr einzusetzen.
Als sie eine Ecke bogen, sahen sie die Werkstatt in der Ferne. Das Schild „Ruriks Mechanik und Reparaturen“ hing schief, die Buchstaben waren vom Ruß geschwärzt und kaum noch lesbar. Doch die vertraute Silhouette des Gebäudes gab Elara einen Moment der Erleichterung. Sie war fast dort. Ein tiefes, gleichmäßiges Brummen drang aus der Ferne, begleitet von einem leichten Vibrieren des Bodens. Elara blieb stehen, ihre Augen verengten sich. „Was ist das?“ flüsterte die Frau, ihre Stimme zitterte vor Anspannung. „Ich weiß es nicht,“ antwortete Elara, doch ihr Herz sank. Dieses Geräusch hatte sie schon einmal gehört – in der Nähe des Nexus. Es war die gleiche fremdartige Energie, die sie damals gespürt hatte. Und es kam näher. „Wir müssen uns beeilen,“ sagte sie und setzte sich wieder in Bewegung. Doch sie zwang sich, nicht zu rennen. Die Erschöpfung ihrer Begleiter war offensichtlich, und sie konnte es sich nicht leisten, dass jemand von ihnen zurückfiel. Als sie schließlich die Werkstatt erreichten, drückte Elara die schwere Metalltür mit der Schulter auf. Sie knarrte laut, und das Geräusch hallte wie ein Schrei durch die stille Straße. Drinnen war es dunkel, nur ein schwaches Glühen von den glimmenden Kohlen in der Ecke spendete etwas Licht. „Rurik?“ rief Elara, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Doch es kam keine Antwort. Die Werkstatt war verlassen. Der junge Mann trat ein und sah sich unsicher um. „Wo ist er? Du hast gesagt, dass er uns helfen kann.“ „Und das wird er auch,“ sagte Elara entschlossen. „Wir müssen nur warten.“ Sie legte das Kind vorsichtig auf einen der Arbeitstische und wickelte es in die Decke. Es bewegte sich nicht, doch sein Atem war gleichmäßig. Trotzdem machte sein starrer Blick ihr Sorgen. Die Frau schloss die Tür hinter ihnen und schob mehrere Riegel vor. „Was ist, wenn er nicht zurückkommt?“ fragte sie leise. Elara schüttelte den Kopf. „Er wird kommen. Rurik ist nicht jemand, der einfach verschwindet. Er wusste, dass ich hierher kommen würde.“ Ein Klirren ließ alle innehalten. Es kam aus der hinteren Ecke der Werkstatt, wo Rurik seine seltsamsten Apparate aufbewahrte. Elara zog ihren Dolch und bewegte sich vorsichtig darauf zu, während die anderen hinter ihr blieben. Ein Schatten huschte über den Boden, und Elara spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Doch dann erkannte sie die Gestalt. Es war Rurik. Er trat aus dem Schatten hervor, seine Hände rußverschmiert, seine Augen funkelten vor Entschlossenheit. „Elara,“ sagte er knapp. „Du hast die Kugel aktiviert, nicht wahr?“ Elara nickte, erleichtert, ihn zu sehen. „Ja, aber es war nicht meine Entscheidung allein. Es war die einzige Möglichkeit, den Nexus zu sichern.“ Rurik knurrte leise, doch sein Blick glitt zu der Gruppe hinter ihr und schließlich zu dem Kind auf dem Tisch. Seine Augen verengten sich. „Und was ist das?“ fragte er und deutete auf das Kind. „Es war in der Stadt, allein. Aber es ist… anders. Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber es musste gerettet werden.“
Rurik trat näher, seine Bewegungen vorsichtig, als ob er das Kind nicht erschrecken wollte. Er musterte es lange, bevor er sagte: „Das ist kein gewöhnliches Kind. Es trägt etwas in sich – etwas Altes, etwas Gefährliches.“ Die Frau trat vor, ihre Augen voller Besorgnis. „Gefährlich? Was meinen Sie damit?“ Rurik seufzte. „Ich kann es nicht genau sagen. Aber es hat Kontakt mit dem Nebel gehabt. Und niemand kommt unversehrt davon.“ Elara ballte die Fäuste. „Was können wir tun? Wie helfen wir ihm?“ Rurik sah sie an, sein Blick ernst. „Das ist keine Frage von Heilung, Elara. Wenn wir es behalten, müssen wir verstehen, was es geworden ist. Und ob es uns helfen kann – oder ob es uns zerstören wird.“ Rurik wandte sich ohne ein weiteres Wort ab und trat an eine seiner Apparaturen. Es war ein massiver Metallkasten, von dessen Oberfläche Drähte und Röhren abgingen. Ein schwaches Summen ging von dem Gerät aus, und die Luft um es herum fühlte sich aufgeladen an. Er zog eine Schutzbrille über die Augen und griff nach einem kleinen Werkzeugkasten. „Was haben Sie vor?“ fragte die Frau, die immer noch wachsam die Werkstatt beobachtete. „Ich werde herausfinden, was das Kind in sich trägt,“ sagte Rurik schlicht. „Aber dafür brauche ich absolute Konzentration. Und euch drei brauche ich, um sicherzustellen, dass nichts in die Werkstatt eindringt. Der Nebel wird bemerken, was ich tue.“ Elara nickte. „Was immer Sie brauchen, wir sind bereit.“ Rurik begann, die Apparatur zu kalibrieren. „Ich habe solche Analysen früher gemacht, bei Objekten, die Kontakt mit dem Nebel hatten. Doch ein Lebewesen… das ist etwas Neues. Es wird dauern, und es wird riskant.“ Die junge Frau trat näher zu Elara. „Und wenn das Gerät das Kind verletzt?“ „Dann haben wir keine Wahl,“ sagte Elara leise, aber bestimmt. „Wenn wir nicht wissen, was mit ihm passiert ist, können wir niemanden schützen.“ Das Summen der Apparatur wurde lauter, während Rurik die Drähte an kleinen Elektroden befestigte, die er vorsichtig an die Schläfen des Kindes legte. Das Kind rührte sich nicht, doch seine Augen schienen einen Moment lang aufzuleuchten. „Es reagiert,“ murmelte Rurik, während er seine Instrumente überprüfte. „Das hier… es ist keine gewöhnliche Energie. Es ist wie ein Fragment des Nexus selbst. Wie hat es das überlebt?“ „Was bedeutet das?“ fragte der junge Mann nervös. „Es bedeutet, dass das Kind nicht nur Kontakt mit dem Nebel hatte. Es hat etwas von ihm aufgenommen. Vielleicht ein Teil seines Bewusstseins.“ Rurik hielt inne und sah Elara an. „Und wenn das stimmt, dann könnte es der Schlüssel sein. Zu allem.“ Rurik trat einige Schritte zurück, während die Apparatur weiterhin summte.
Der Raum schien sich unter der Spannung der Energie, die sich aufbaute, zu wölben. Funken sprangen von den Drähten, und das Kind auf dem Tisch zuckte leicht, obwohl es immer noch reglos war. „Das ist nicht gut,“ murmelte Rurik, seine Stimme angespannt. „Die Energie ist zu instabil. Ich muss einen Weg finden, sie zu kanalisieren, bevor etwas…“ Ein plötzlicher Knall unterbrach ihn, als ein Teil der Apparatur Funken sprühte und ein greller Lichtblitz den Raum erhellte. Elara sprang vor, ihre Waffe gezogen, während der junge Mann und die Frau Schutz suchten. „Rurik!“ rief Elara, „was ist passiert?“ „Es ist zu viel,“ knurrte Rurik, während er hektisch an den Kontrollschaltern der Apparatur arbeitete. „Das Kind… oder das, was in ihm ist, reagiert nicht wie erwartet. Es ist, als wäre es eine Verbindung zwischen hier und dem Nebel.“ Elara trat an den Tisch heran, ihre Augen fixierten das Kind. Sein Atem war jetzt schneller, und die Augen, die zuvor leer gewesen waren, schimmerten in einem unheimlichen, violetten Licht. „Was bedeutet das?“ fragte sie, ihre Stimme gedämpft vor Sorge. Rurik hielt inne, sein Blick voller Ernst. „Es bedeutet, dass es nicht nur ein Fragment des Nexus ist. Es könnte ein Nexus selbst sein – oder zumindest ein Teil davon. Und wenn das stimmt, ist es möglicherweise der Schlüssel, um entweder den Nebel zu stoppen oder ihn vollends loszulassen.“ Die Worte hingen schwer im Raum. Die Frau trat vor, ihre Waffe in der Hand. „Wenn es so gefährlich ist, warum helfen wir ihm dann? Vielleicht sollten wir…“ „Es ist ein Kind!“ unterbrach Elara scharf. „Wir wissen nicht, was es ist, aber wir können nicht einfach aufgeben. Es könnte genauso gut die einzige Hoffnung sein, die wir haben.“ Rurik nickte langsam. „Elara hat recht. Aber wir müssen vorsichtig sein. Diese Energie könnte uns alle vernichten, wenn wir sie falsch handhaben.“ Ein weiteres Zucken durchlief das Kind, und ein leises, kaum wahrnehmbares Flüstern füllte den Raum. Es war wie ein Echo, eine Stimme, die gleichzeitig aus der Ferne und aus der Tiefe zu kommen schien. „Hört ihr das?“ flüsterte der junge Mann, seine Augen weiteten sich vor Angst. Elara nickte. Das Flüstern war undeutlich, aber es schien Worte zu formen. „Sie kommen,“ war alles, was sie heraushören konnte.
Plötzlich begann die Werkstatt zu beben, als würde die Erde selbst auf das Flüstern reagieren. Werkzeuge fielen von den Wänden, und die Apparatur spie Funken. Der Nebel draußen schien sich zu verdichten, und das vertraute, bedrohliche Brummen drang durch die dicken Metallwände der Werkstatt. „Wir haben nicht viel Zeit,“ sagte Rurik und griff nach einer kleinen, metallischen Vorrichtung, die auf einem der Tische lag. „Ich kann versuchen, die Energie zu stabilisieren, aber es wird riskant. Elara, du musst entscheiden. Sollen wir weitermachen oder aufgeben?“ Elara sah zu dem Kind, dessen Augen jetzt fest auf sie gerichtet waren. Sie schienen nicht nur zu sehen, sondern zu verstehen. Ihre Gedanken rasten. Wenn Rurik recht hatte und das Kind der Schlüssel war, konnten sie es sich nicht leisten, diese Chance aufzugeben. Aber wenn sie falsch lagen, könnte es alles zerstören. Sie schloss die Augen und holte tief Luft. „Wir machen weiter,“ sagte sie schließlich, ihre Stimme fest. „Wir haben keine andere Wahl.“ Rurik nickte knapp und begann sofort mit der Justierung der Apparatur. Elara drehte sich zu den anderen um. „Bereitet euch vor. Wenn der Nebel uns angreift, müssen wir standhalten. Wir können jetzt nicht mehr zurück.“ Die Frau und der junge Mann nickten, ihre Angst war deutlich sichtbar, doch sie hielten ihre Waffen bereit. Elara stellte sich an die Tür, den Dolch in der Hand, und wartete. Das Flüstern wurde lauter, und mit jedem Moment schien die Dunkelheit dichter zu werden. Plötzlich erklang ein lautes Klopfen an der Metalltür. Es war kein wütendes Hämmern, sondern ein kontrolliertes, rhythmisches Geräusch. Elara erstarrte. Ihre Finger umklammerten den Dolch fester, und sie warf Rurik einen fragenden Blick zu. „Das ist nicht der Nebel,“ murmelte Rurik. „Aber ich weiß auch nicht, wer oder was das sein könnte.“ Das Klopfen wiederholte sich, lauter und bestimmter. „Öffnet die Tür,“ sagte eine tiefe, unerschütterliche Stimme von draußen. Sie war ruhig, fast einladend, doch sie ließ keine Widerrede zu. „Wir können ihn nicht einfach reinlassen!“ flüsterte die Frau panisch. „Es könnte eine Falle sein.“ „Oder unsere einzige Chance,“ entgegnete Elara, ihre Augen fest auf die Tür gerichtet. Sie trat einen Schritt nach vorne, ihre Hand zögerte einen Moment, bevor sie die ersten Riegel löste. „Bist du dir sicher?“ fragte der junge Mann, seine Stimme bebte vor Angst. „Nein,“ antwortete Elara ehrlich. „Aber wenn er uns töten wollte, hätte er es nicht so höflich angekündigt.“ Mit einem letzten Ruck öffnete sie die Tür, bereit, den Dolch zu führen. Dahinter stand ein Mann, eingehüllt in einen langen schwarzen Mantel, der wie ein Schatten mit dem Nebel verschmolz. Sein Gesicht war kantig, seine Augen dunkel, und doch funkelte darin eine seltsame Mischung aus Wachsamkeit und Müdigkeit. „Ihr spielt ein gefährliches Spiel,“ sagte er mit einem leichten Lächeln, das weder freundlich noch bedrohlich war. „Aber vielleicht kann ich helfen.“
Elara starrte den Fremden an, ihr Griff um den Dolch fest. Ihre Augen huschten über sein Gesicht, suchten nach Hinweisen – einer Spur von Täuschung oder Bedrohung. Doch er blieb ruhig, fast unnahbar, als ob er wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, als ihm zu vertrauen. Rurik trat vor, die Augen verengt. „Wer bist du, und warum bist du hier?“ Seine Stimme war scharf, seine Haltung angespannt. Der Mann legte den Kopf leicht schief, seine dunklen Augen schienen Rurik zu durchbohren. „Nenn mich Kael,“ sagte er schließlich. „Ich habe den Nebel gespürt, und ich habe gesehen, was ihr versucht, zu tun. Das ist entweder bemerkenswert mutig oder außerordentlich dumm.“ Elara verzog die Lippen. „Wenn du hier bist, um uns zu helfen, dann mach es klar. Wir haben keine Zeit für Rätsel.“ Kael hob eine Augenbraue, und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Direkt zur Sache, hm? Gut. Ich kenne den Nebel – und die Dunkelheit, die in ihm lebt. Ihr habt etwas, das sie will.“ Sein Blick wanderte zu dem Kind, das auf dem Tisch lag, und seine Miene wurde ernst. „Und wenn ihr nicht vorsichtig seid, wird sie es sich holen.“ Rurik verschränkte die Arme vor der Brust. „Was weißt du über das Kind? Und warum sollten wir dir glauben?“ Kael trat näher, seine Bewegungen geschmeidig und kontrolliert, als ob er jeden Schritt sorgfältig abwog. „Ich weiß, dass es mehr ist als nur ein Kind. Es trägt einen Teil des Nexus in sich, oder vielleicht sogar mehr. Ihr habt es selbst gespürt, oder? Die Verbindung, die es mit dem Nebel hat. Es ist der Schlüssel – zu eurer Rettung oder eurem Untergang.“ Elara spürte, wie ihr Herz schneller schlug. „Und was willst du? Warum hilfst du uns?“ Kael hielt inne, seine Augen trafen ihre. „Sagen wir einfach, dass meine Interessen sich mit euren überschneiden. Der Nebel hat mir Dinge genommen, die ich nicht zurückholen kann. Wenn ich euch helfe, ihn zu stoppen, gewinne ich vielleicht etwas von dem zurück, was ich verloren habe.“ Ein schweres Schweigen legte sich über den Raum. Rurik warf Elara einen fragenden Blick zu, doch sie war sich selbst nicht sicher, was sie denken sollte. Kael war mysteriös, zu selbstsicher. Doch irgendetwas an ihm schien echt zu sein, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, was.
Das Kind auf dem Tisch zuckte erneut, und ein leises Summen erfüllte die Luft. Kael sah hinüber, sein Gesicht wurde ernster. „Ihr habt es also schon aktiviert. Dann bleibt uns nicht mehr viel Zeit.“ „Was meinst du damit?“ fragte Elara. „Der Nebel wird kommen,“ sagte Kael ruhig. „Er kann das Kind spüren. Und er wird nicht aufhören, bis er es hat. Wenn ihr überleben wollt, müsst ihr euch entscheiden – kämpfen oder fliehen.“ Rurik schnaubte. „Die Werkstatt ist gut gesichert. Wir können hier standhalten, solange es nötig ist.“ Kael schüttelte den Kopf. „Ihr versteht nicht. Der Nebel ist kein Gegner, den ihr mit Mauern oder Waffen aufhalten könnt. Er wird sich durch alles fressen, was ihr aufgebaut habt. Eure einzige Chance ist, das Kind zu schützen und einen Weg zu finden, die Verbindung zum Nexus zu kontrollieren.“ Elara fühlte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. Sie sah zu Rurik, der noch immer zögerte, und dann zu Kael, dessen Blick sie durchdrang. „Und was schlägst du vor?“ fragte sie schließlich. Kael lächelte schwach. „Ich schlage vor, dass ihr mir vertraut. Ich kenne den Nebel besser als jeder andere hier. Und ich weiß, wie man ihn bekämpft.“ Ein weiterer Moment des Schweigens verging, bevor Elara nickte. „Wir haben keine Wahl. Aber ich warne dich, Kael – wenn du uns hintergehst, werde ich nicht zögern, dich zu stoppen.“ Kael neigte leicht den Kopf, fast wie eine Verbeugung. „Ich erwarte nichts anderes.“ Das Summen des Kindes auf dem Tisch wurde intensiver, und die Apparaturen, die Rurik aufgestellt hatte, begannen, unruhig zu flackern. Kael trat näher, seine Bewegungen kontrolliert und doch entschlossen. „Wir müssen das Kind bewegen,“ sagte er, seine Stimme ruhig, aber drängend. „Es ist hier nicht sicher. Der Nebel wird schneller hier sein, als ihr glaubt.“ „Bewegen?“ Rurik wandte sich ihm zu, seine Augen schmal. „Wohin? Jede Bewegung bringt uns nur näher an das Chaos.“ „Das Chaos ist bereits hier,“ entgegnete Kael und deutete auf die flackernden Geräte. „Eure Barrieren sind schwach, und was auch immer ihr hier schützt, macht den Nebel stärker.“ Elara beobachtete die beiden Männer, ihre Hand noch immer am Griff ihres Dolches. „Wenn wir es nicht hier schaffen, dann wo?“ fragte sie. Ihre Stimme zitterte leicht, obwohl sie sich bemühte, entschlossen zu wirken. Kael hielt inne, sein Blick wanderte kurz zu ihr. „Es gibt einen Ort. Ein altes Refugium, versteckt vor dem Nebel. Aber es ist nicht leicht, dorthin zu gelangen. Und selbst wenn wir es schaffen, gibt es keine Garantie, dass wir dort sicher sind.“ „Du verlangst, dass wir dir vertrauen, ohne Beweise, ohne irgendetwas,“ sagte Rurik scharf. „Das klingt mehr nach einem Todesurteil als nach einem Plan.“ „Manchmal ist das Risiko alles, was bleibt,“ antwortete Kael ruhig. „Aber ich werde nicht bleiben, um zu sehen, wie ihr alle verschlungen werdet. Ihr könnt mitkommen oder hier warten. Eure Wahl.“ Elara trat vor, ihr Blick fest auf Kael gerichtet. „Und du würdest uns einfach so helfen? Ohne etwas dafür zu erwarten?“ Kael lächelte schief. „Glaub, was du willst. Aber ich habe mehr Gründe, den Nebel zu stoppen, als ich euch erklären kann.“
Die Entscheidung lag in der Luft, schwer und unausweichlich. Rurik warf Elara einen langen Blick zu, bevor er schließlich nickte. „Wenn du glaubst, dass das unser bester Weg ist, dann gehe ich mit. Aber wenn er uns verrät…“ „Dann werde ich ihn aufhalten,“ sagte Elara leise, ihre Augen glühten vor Entschlossenheit. Kael nickte. „Dann lasst uns gehen. Die Zeit ist gegen uns.“ Die Gruppe begann, ihre wenigen Habseligkeiten zu sammeln, während das Summen des Kindes wie ein düsteres Echo im Hintergrund blieb. Draußen schien der Nebel dichter zu werden, eine fast greifbare Präsenz, die nur darauf wartete, zuzuschlagen. Kael ging voran, seine Bewegungen so sicher, als könnte er durch den dichten Nebel sehen. Elara beobachtete ihn genau, während sie das Kind trug, das mittlerweile fast gespenstisch ruhig war. Rurik und die anderen folgten dicht hinter ihnen, die Stille nur durch das gelegentliche Klirren ihrer Ausrüstung unterbrochen. Die Straßen, die einst von Leben erfüllt gewesen waren, lagen jetzt wie ausgestorben da. Der Nebel verschlang jeden Laut, und die dunklen Silhouetten der Gebäude wirkten wie Geister aus einer anderen Welt. Elara konnte spüren, wie sich die Dunkelheit um sie herum verdichtete, als ob der Nebel lebendig wäre und sie beobachtete. „Woher kennst du diesen Weg?“ fragte sie schließlich, ihre Stimme leise, aber voller Misstrauen. Kael warf ihr einen kurzen Blick über die Schulter. „Ich habe mehr Zeit im Nebel verbracht, als mir lieb ist. Es gibt Orte, die er meiden muss – alte Schutzmechanismen, die noch funktionieren. Aber sie sind selten.“ „Und du bist sicher, dass wir in einen dieser Orte gehen?“ hakte Rurik nach, seine Stimme klang schärfer, als er es vermutlich beabsichtigt hatte. „Sicher? Nein,“ antwortete Kael gelassen. „Aber es ist besser, als hier zu bleiben und darauf zu warten, dass der Nebel euch verschlingt.“ Elara spürte die Anspannung in der Gruppe wachsen, doch sie wusste, dass Kael recht hatte. Sie hatten keine Wahl. Jede Minute, die sie in der Werkstatt geblieben wären, hätte sie einem sicheren Tod nähergebracht. Plötzlich blieb Kael stehen, seine Hand hob sich in einer stummen Warnung. Elara hielt die Luft an, während sie versuchte, in der dichten Dunkelheit etwas zu erkennen. Dann hörte sie es: ein leises, rhythmisches Klopfen, das wie ein Herzschlag durch die Stille pulsierte. „Was ist das?“ flüsterte der junge Mann, seine Stimme bebte. „Nicht bewegen,“ zischte Kael. Seine Augen fixierten eine Stelle im Nebel, wo die Dunkelheit noch dichter schien. „Es sucht uns.“ Elara erstarrte, ihr Griff um das Kind wurde fester. Das Klopfen wurde lauter, und sie konnte nun eine massive Silhouette ausmachen, die sich langsam auf sie zu bewegte. Es war keine Kreatur, sondern etwas, das aussah wie eine Ansammlung von Schatten, die sich in einer grotesken Form verdrehten. „Was ist das?“ fragte die Frau, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Eine Fragmentation,“ antwortete Kael, seine Stimme blieb erstaunlich ruhig. „Der Nebel schickt sie aus, um Eindringlinge zu finden. Wenn wir uns nicht bewegen, könnten wir unsichtbar bleiben.“
Elara spürte, wie ihr Herz gegen ihre Rippen hämmerte. Das Schattenwesen war jetzt so nah, dass sie das Knistern hören konnte, das von seiner beweglichen, amorphen Form ausging. Es hielt inne, nur wenige Meter entfernt, und schien die Luft zu schnuppern, obwohl es keine offensichtlichen Sinne hatte. Kael bewegte sich langsam, seine Hand glitt zu einer kleinen Flasche an seinem Gürtel. Mit einer geschmeidigen Bewegung warf er die Flasche in die entgegengesetzte Richtung. Ein leises Klirren ertönte, gefolgt von einem Zischen, als der Inhalt der Flasche den Boden berührte. Ein grelles Licht flackerte auf, und das Schattenwesen wirbelte herum, verfolgend, was es für seine Beute hielt. „Jetzt,“ zischte Kael, „bewegt euch!“ Die Gruppe setzte sich hastig in Bewegung, ihre Schritte gedämpft, während sie den Pfad hinunterrannten. Der Nebel schien sich aufzubäumen, als würde er ihren Fluchtversuch bemerken, doch das Licht der Flasche hielt das Wesen für den Moment beschäftigt. Nach mehreren Minuten erreichten sie eine schmale Gasse, die in einen halb eingestürzten Innenhof führte. Kael blieb stehen und zog eine kleine Metallplatte aus seiner Tasche, die mit feinen Gravuren bedeckt war. Er hielt sie gegen eine Wand, und ein schwaches Leuchten erschien, als die Platte mit den Symbolen darauf reagierte. „Das ist es,“ sagte er leise. „Hier sind wir für eine Weile sicher.“ Elara trat vorsichtig in den Innenhof, das Kind fest an ihre Brust gedrückt. Die anderen folgten, ihre Gesichter gezeichnet von Erschöpfung und Angst. Rurik sah sich um, sein Blick kritisch. „Wie lange hält das?“ Kael steckte die Platte wieder ein und lehnte sich gegen die Wand. „Lang genug, hoffe ich. Aber der Nebel wird nicht aufgeben. Er wird andere Wege finden, um uns zu erreichen.“ Elara ließ sich auf den Boden sinken, das Kind sanft vor sich legend. Es war noch immer bewusstlos, doch sein Atem war gleichmäßig. Sie sah zu Kael auf, ihre Augen suchten nach Antworten. „Was war das wirklich da draußen? Und wie wusstest du, was zu tun ist?“ Kael hielt inne, seine Miene wurde ernst. „Das war nur ein Vorgeschmack. Der Nebel hat viele Gesichter, viele Werkzeuge. Und ich weiß, wie man ihnen ausweicht, weil ich sie schon lange kenne.“ „Wie lange?“ fragte Elara, ihre Stimme leiser. Kael zögerte, bevor er antwortete. „Lange genug, um zu wissen, dass wir ihn nicht aufhalten können, wenn wir nicht bereit sind, alles zu riskieren.“ Kael ließ sich neben einer halb zerfallenen Mauer nieder und zog ein kleines Messer aus seinem Gürtel. Während er es prüfend in der Hand drehte, sprach er mit einer ungewohnt weichen Stimme. „Der Nebel ist nicht nur eine Kraft. Er ist ein Wesen. Vielleicht nicht so, wie wir Leben verstehen, aber er hat einen Willen. Und was er will, ist Kontrolle.“ Rurik schnaubte leise. „Ein Wesen? Das klingt nach Geschichten, die man Kindern erzählt, um sie vom Spielen im Dunkeln abzuhalten.“ Kael sah ihn scharf an, seine Augen funkelten. „Wenn du dir diese Geschichten zu Herzen genommen hättest, hättest du vielleicht länger überlebt, als du denkst. Der Nebel nimmt, was er will, und er gibt nichts zurück.“ Elara legte eine Hand auf das Kind, ihre Augen schmal vor Nachdenken. „Was will er dann mit diesem Kind? Warum ist es so wichtig?“ Kael seufzte und steckte das Messer zurück in seinen Gürtel. „Das Kind ist ein Anker. Der Nebel braucht es, um seine Präsenz zu verstärken, um vollständiger zu werden. Aber genau das macht es auch gefährlich für ihn. Solange das Kind lebt, ist der Nebel unvollständig. Es ist ein Schachspiel, und ihr haltet die Königin.“
Ein plötzliches Geräusch ließ alle aufhorchen. Es war ein leises Kratzen, gefolgt von einem dumpfen Knall. Die Gruppe erstarrte, und Kael stand mit einer Geschwindigkeit auf, die Elara überraschte. „Wir sind nicht allein.“ Rurik griff nach einer schweren Metallstange, die er mitgebracht hatte, während die Frau ihre improvisierte Waffe fester umklammerte. Kael trat leise zur Tür des Innenhofs, seine Bewegungen so lautlos wie der Nebel selbst. Er schob die Tür einen Spalt auf und spähte hinaus. „Was siehst du?“ flüsterte Elara, ihre Stimme kaum hörbar. „Etwas, das nicht hier sein sollte,“ murmelte Kael zurück, seine Hand glitt erneut zu seinem Messer. „Bleibt hier. Wenn ich nicht zurückkomme…“ „Du gehst nirgendwo allein,“ unterbrach ihn Elara und stand auf. „Wir machen das zusammen.“ Kael hielt inne, sah sie an, und für einen Moment schien er etwas sagen zu wollen. Doch er nickte nur. „Dann bleibt dicht bei mir.“ Kael führte die Gruppe zu einer Ecke des Innenhofs, wo eine alte, fast verborgene Falltür aus rostigem Metall in den Boden eingelassen war. Mit einem kräftigen Ruck öffnete er sie, und ein schmaler, dunkler Schacht wurde sichtbar. Eine modrige, kalte Luft schlug ihnen entgegen. „Los,“ sagte Kael knapp und deutete auf die Öffnung. Elara kletterte zuerst hinunter, das Kind fest an ihre Brust gedrückt. Hinter ihr folgten die Frau und der junge Mann, während Rurik und Kael die letzten waren. Kael schloss die Tür über ihnen, und die Dunkelheit des Tunnels umhüllte sie vollständig. Der Schacht führte in einen engen, feuchten Gang, dessen Wände aus bröckelndem Stein bestanden. Das Geräusch von tropfendem Wasser hallte durch die Dunkelheit, und der modrige Geruch wurde mit jedem Schritt intensiver. Kael ging voraus, eine kleine, flackernde Laterne in der Hand, die das Nötigste beleuchtete. „Was war das?“ fragte die Frau schließlich, ihre Stimme zitterte. „Das Ding da draußen… das war kein Mensch.“ „Nein,“ antwortete Kael knapp. „Es war eine Waffe. Eine der vielen, die der Nebel benutzt, um uns zu jagen.“ „Und du hast uns nicht gewarnt?“ Rurik klang wütend. „Ich habe euch gesagt, dass nichts sicher ist,“ entgegnete Kael ruhig. „Ihr hättet genauso gut dort sterben können. Hier haben wir zumindest eine Chance.“ Plötzlich hielt Kael inne und hob eine Hand. Die Gruppe verstummte. Von irgendwo weiter vorne im Tunnel kam ein Geräusch, ein leises, unregelmäßiges Kratzen, das sich unheilvoll näherte. Elara spürte, wie ihr Atem stockte. Das Kind in ihren Armen rührte sich leicht, und ein schwaches Licht schimmerte unter seinen geschlossenen Lidern. „Es hat uns gefunden,“ murmelte Kael, sein Griff um das Messer fester. „Bleibt zurück.“ Doch bevor sie reagieren konnten, erschütterte ein lauter Knall den Tunnel, gefolgt von einem Einsturz weiter vorne. Staub und Geröll wirbelten auf, und die Gruppe wurde zurückgedrängt. Elara hielt das Kind fest, während sie hustend versuchte, die Orientierung zu behalten. „Wir müssen zurück!“ rief Rurik durch den Lärm, doch Kael schüttelte den Kopf. „Es ist zu spät,“ sagte er. „Wir müssen durch den Einsturz. Es gibt keinen anderen Weg.“ Das Kapitel endete, während die Gruppe vor den Trümmern stand, die den Tunnel blockierten, und der Nebel begann, durch die Dunkelheit zu kriechen – näher und näher. Die letzte Hoffnung schien so fern wie der nächste Atemzug.
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