Schatten der Verzweiflung
Der Raum war dunkel, abgesehen von dem matten Glühen eines Feuers, das in einem improvisierten Metallfass brannte. Die Flammen warfen flackernde Schatten an die Wände, wo alte, verrottende Stoffbahnen hingen, die die Gruppe vor neugierigen Blicken von außen schützen sollten. Inmitten dieser Szenerie saß der vernarbte Mann Garren auf einem umgedrehten Fass, das ihm als Sitz diente. Sein Gesicht war gezeichnet von unzähligen Linien, die wie ein Netz tiefer Risse wirkten, und seine Augen waren scharf, aber müde. „Wir waren immer die Überbleibsel“, begann er, seine Stimme rau und leise, doch sie trug mühelos durch den Raum. „Die, die niemand wollte. Die, die der Nebel nicht sofort geholt hat, aber trotzdem gezeichnet hat.“ Um ihn herum saßen weitere Gestalten.
Eine Frau mit kurzem, abgehacktem Haar und einer tiefen Narbe, die ihre Wange durchzog, hielt ein Messer in den Händen, mit dem sie abwesend Holz bearbeitete. Neben ihr lehnte ein hagerer Mann mit eingefallenen Wangen und einem misstrauischen Blick, der immer wieder durch den Raum huschte. Der Rest der Gruppe bestand aus drei weiteren Gestalten, deren Gesichter durch Tücher verborgen waren. „Du kannst dir die Geschichten sparen, Garren“, sagte die Frau mit dem Messer, ihre Stimme hart. „Wir alle wissen, warum wir hier sind. Es geht darum, was als Nächstes passiert.“ Garren ließ seinen Blick über die Gruppe schweifen. „Vielleicht. Aber es gibt etwas, was wir uns eingestehen müssen.“ Er machte eine Pause, seine Hände legten sich schwer auf seine Knie. „Der Nebel spielt mit uns. Er hat uns nicht geholt, weil er uns brechen will. Er will, dass wir ein Teil von ihm werden.“ Die anderen sagten nichts, aber die Spannung im Raum war greifbar. Jeder von ihnen hatte schon einmal gesehen, wie jemand vom Nebel verschlungen wurde. Doch die Worte, dass sie selbst zu Werkzeugen dieser Dunkelheit werden könnten, waren schwer zu ertragen. Die Frau mit dem Messer – Nara – hob den Blick von ihrer Arbeit. „Und was sollen wir dagegen tun? Wir haben keine Waffen, keine sicheren Verstecke mehr. Was bleibt uns noch?“ Der hagere Mann, Marek, schnappte sich ein halb leeres Glas Wasser und trank in einem Zug. „Es bleibt uns zu überleben. Das haben wir doch die ganze Zeit getan. Wenn der Nebel will, dass wir etwas werden, dann heißt das nur, dass wir noch eine Wahl haben.“ „Eine Wahl?“ Naras Stimme schnitt scharf. „Was für eine Wahl? Das hier? In den Schatten leben, uns wie Ratten verstecken, darauf hoffen, dass wir nicht als Nächstes verschlungen werden?“ Garren hob eine Hand, um die aufkommende Diskussion zu unterbrechen. „Genug. Wir wissen alle, dass das hier nicht endlos so weitergehen kann. Wir haben Berichte gehört … von einer Gruppe, die sich durch die Ruinen bewegt. Sie tragen etwas bei sich. Etwas, das den Nebel anzieht.“
Die Worte ließen die Luft im Raum schwerer werden. Mareks misstrauische Augen verengten sich. „Das klingt nach einem schnellen Weg, uns alle umbringen zu lassen. Warum sollten wir uns um sie kümmern? Vielleicht zieht der Nebel sie an, und wir bleiben verschont.“ „Vielleicht“, gab Garren zu. „Aber vielleicht sind sie auch unsere Chance. Wenn sie etwas haben, das den Nebel anzieht, könnten sie ihn vielleicht auch kontrollieren. Oder wenigstens aufhalten.“ Nara lehnte sich zurück, das Messer in ihrer Hand glitt spielerisch über ihre Finger. „Oder sie bringen uns alle um, weil sie den Nebel direkt zu uns führen.“ Garren sah sie mit einem Blick an, der keinen Widerspruch duldete. „Wir haben nichts zu verlieren, Nara. Entweder wir finden heraus, was diese Gruppe vorhat, oder wir sitzen hier und warten, bis der Nebel uns holt. Ich weiß, wofür ich mich entscheide.“ Doch die wahre Natur der Gruppe wurde erst in den darauffolgenden Gesprächen klar. Garren sprach davon, wie sie bisher überlebt hatten. Nicht durch offene Konfrontation, sondern durch Beobachtung und subtile Eingriffe. „Wir sind die Schatten“, erklärte er. „Wir kämpfen nicht frontal gegen das Dunkle, weil wir wissen, dass wir verlieren würden. Stattdessen manipulieren wir. Helfen im Verborgenen, lenken ab, zerstören leise. Und wenn diese Gruppe tatsächlich das Zentrum der Aufmerksamkeit des Nebels ist, dann müssen wir herausfinden, warum.“ Marek lachte trocken. „Das klingt ja fast edel. Aber was ist, wenn sie es gar nicht wert sind, dass wir unser Leben riskieren?“ Garren stand auf, das Flackern des Feuers zeichnete scharfe Konturen auf sein vernarbtes Gesicht. „Dann halten wir sie auf. Wenn sie etwas Dummes tun, das den Rest von uns gefährdet, dann endet es dort. Ich lasse nicht zu, dass ihre Fehler unsere ohnehin schon kleine Welt zerstören.“ Die Gruppe schwieg. Es war klar, dass sie Garren folgen würden, wie sie es immer getan hatten. Sie waren nicht hier, um Helden zu sein. Sie waren hier, um zu überleben – und um zu verhindern, dass der Nebel weiter wuchs, so gut sie konnten.
Die Nacht legte sich wie ein schwerer Mantel über die Ruinen, und der dichte Nebel kroch unaufhaltsam durch die zerbrochenen Gassen, als Garren und seine Gruppe ihre Ausrüstung zusammenpackten. Jeder von ihnen wusste, dass das, was sie taten, gefährlich war. Aber sie hatten keine Wahl. Nara schlang sich ein Tuch um den Hals, zog es über ihre Narben und warf Garren einen scharfen Blick zu. „Wenn das schiefgeht, sollten wir uns darauf einstellen, dass wir nichts mehr haben. Weder einen Zufluchtsort noch unser Leben.“ „Ich weiß, was auf dem Spiel steht,“ antwortete Garren ruhig, während er eine Karte aufrollte und sie in eine Tasche an seinem Ledergurt schob. „Aber wir können nicht mehr einfach nur warten. Diese Gruppe ist unsere Chance, Antworten zu finden – oder zumindest eine Richtung.“ Marek, der hagere Mann, stand etwas abseits und überprüfte die Klingen, die er in einem abgenutzten Gürtelschoner trug. „Oder sie sind der Grund, warum wir alle sterben. Denk daran, Garren, der Nebel kommt, wo sie hingehen.“ Garren hielt inne, seine Augen verengten sich leicht, bevor er antwortete. „Genau deshalb müssen wir sie beobachten. Wenn sie einen Weg finden, mit dem Nebel umzugehen, dann könnten wir davon profitieren. Und wenn nicht …“ Seine Stimme wurde leiser, aber schneidend. „Dann verhindern wir, dass ihre Fehler uns und alle anderen zerstören.“ Die anderen in der Gruppe – drei Gestalten, deren Gesichter hinter Tüchern verborgen waren – schwiegen. Doch ihre Bewegungen waren schnell und entschlossen, als sie die letzten Vorbereitungen trafen. Sie wussten, dass Garren ihre einzige Konstante in einer Welt der Ungewissheit war. Und auch wenn seine Pläne riskant klangen, hatten sie keine Alternative. „Woher kennen wir überhaupt ihre Namen?“ fragte Marek schließlich, seine Stimme war rau vor Skepsis. Nara hob den Blick von ihrer Tasche und schnaubte leise. „Die kleine Bibliothek im Süden,“ sagte Garren knapp. „Die alte Frau, Lyra. Sie hat von einer Suchenden gesprochen, einer, die Spuren hinterlässt, und von einem, der wie ein Schatten bei ihr bleibt. Ihre Beschreibungen waren vage, aber die Hinweise, die sie gegeben hat, passen zu dieser Gruppe. Sie sammeln Dinge, suchen nach Antworten. Und sie sind es, die den Nebel in Bewegung setzen.“ Sie sammeln Dinge, suchen nach Antworten. Und sie sind es, die den Nebel in Bewegung setzen.“ „Und du vertraust den Geschichten einer alten Frau?“ Marek klang abwertend, aber Nara hob eine Hand, um ihn zu stoppen. „Lyra mag seltsam sein,“ sagte sie leise, „aber ihre Informationen waren bisher immer präzise. Wenn sie uns gesagt hat, dass diese Leute wichtig sind, dann sind sie es auch.“ Garren nickte, zufrieden mit der Unterstützung. „Wir wissen nicht alles. Aber wir wissen genug, um sie zu finden. Und das reicht fürs Erste.“ Garren warf einen letzten Blick auf die Karte, dann nickte er. „Sie bewegen sich in Richtung des alten Stadtparks. Wir gehen voran und nehmen die Positionen am Rand der Ruinen ein. Keine direkten Konfrontationen – wir beobachten, bis wir wissen, womit wir es zu tun haben.“
Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Ihre Schritte waren leise, geübt durch Jahre des Lebens im Verborgenen. Sie wussten, wie man sich unsichtbar machte, wie man den Nebel – und die, die darin lauerten – austrickste. Nara ging an der Spitze, ihr Messer fest in der Hand. Marek blieb dicht hinter ihr, seine Augen unablässig auf die Schatten gerichtet, die sich im Nebel bewegten. Der Weg durch die Ruinen war tückisch. Die einstigen Straßen waren überwuchert von scharfen, verzerrten Pflanzen, die unter dem Einfluss des Nebels mutiert waren. Garren ging langsam, sein Blick wanderte ständig zwischen der Umgebung und der Karte in seiner Hand. Er kannte die Gefahren. Jeder Schritt könnte sie näher an die Kreaturen bringen, die im Nebel lauerten – oder an eine von den Fallen, die sie selbst aufgestellt hatten, um unerwünschte Eindringlinge fernzuhalten. „Da vorne,“ flüsterte Nara und blieb abrupt stehen. Sie deutete auf einen Vorsprung, von dem aus sie einen guten Blick auf die Straße darunter hatten. Garren trat neben sie, seine Augen verengten sich, als er in die Ferne blickte. Dort, im schwachen Licht des schwindenden Mondes, waren Bewegungen zu erkennen. Schatten huschten über den Boden, zu schnell, um natürlich zu sein. „Das sind sie,“ sagte er leise. „Die Gruppe. Elara… und die anderen.“ Marek stieß ein leises Schnauben aus. „Was jetzt? Reden wir mit ihnen oder beobachten wir weiter?“ Garren dachte einen Moment nach. Dann schüttelte er den Kopf. „Noch nicht. Wir beobachten. Sie haben etwas bei sich, das den Nebel anzieht. Wenn wir eingreifen, könnten wir ihre Aufmerksamkeit auf uns lenken – oder schlimmer, die des Nebels.“ Die Gruppe machte es sich auf dem Vorsprung bequem, ihre Augen wachsam auf die Gestalten in der Ferne gerichtet. Garren spürte, wie die Anspannung in seiner Brust wuchs. Diese Menschen könnten die Schlüssel zu Antworten sein, die er seit Jahren suchte. Aber sie könnten auch das Ende bedeuten. Im Schutz der Dunkelheit warteten sie, wie Schatten, die bereit waren einzugreifen – oder zuzusehen, wie die Geschichte ihren Lauf nahm. Die Dunkelheit der Nacht war dicht und unbarmherzig, während die Gruppe um Garren weiterhin auf dem Vorsprung verweilte und die Gruppe um Elara in der Ferne beobachtete. Die Schatten der Nebelgespinste krochen langsam näher, doch Garrens Leute wussten, wie sie sich unbemerkt bewegen konnten. Ihr Ziel war nicht die direkte Konfrontation – sie mussten die Situation unter Kontrolle halten, ohne dass ihre Anwesenheit bemerkt wurde. Die Gruppe um Elara hatte in einer geschützten Ecke der Ruinen Rast gemacht. Elara hielt das Kind im Arm, während Rurik und Kael leise miteinander sprachen. Finn und Clara saßen ein Stück abseits und teilten sich eine kleine Mahlzeit. Doch selbst in der relativen Ruhe war die Anspannung spürbar. Der Nebel hatte sich verdichtet, und das leise Rascheln und Tropfen in der Ferne ließ niemanden ganz zur Ruhe kommen. „Sie sind unerfahren,“ murmelte Nara, die neben Garren kauerte und die Bewegungen der Gruppe um Elara genau beobachtete. „Wenn sie weiter so unvorsichtig sind, werden sie den Nebel direkt auf sich ziehen.“ „Darum sind wir hier,“ antwortete Garren ruhig. Seine Augen verengten sich, als er Elara beobachtete, wie sie das Kind beruhigte. „Sie haben etwas, das wir nicht verstehen. Und sie wissen nicht, wie man sich in den Schatten bewegt. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass sie keinen Fehler machen, der alle gefährdet.“ Marek schnaubte leise. „Das klingt, als wären wir ihre Babysitter. Ich dachte, wir wären hier, um Informationen zu sammeln, nicht um sie zu retten.“ „Manchmal muss man das eine tun, um das andere zu erreichen,“ entgegnete Garren und deutete mit einer knappen Bewegung auf die Szene vor ihnen.
Elara und Kael schienen über eine Karte zu diskutieren, doch Rurik stand plötzlich auf, seine Haltung angespannt. Ein Geräusch – dumpf, schwer – durchbrach die Nacht. Es kam aus der Richtung, in die die Gruppe reisen wollte. Alle hielten den Atem an, und Garren konnte die plötzliche Furcht in den Bewegungen der Gruppe um Elara sehen. Rurik griff nach einem seiner improvisierten Werkzeuge, während Kael sich langsam in Richtung der Quelle des Geräuschs drehte. „Was ist das?“ flüsterte Nara und griff nach ihrem Messer. „Vielleicht nur der Wind,“ murmelte Marek, doch seine Stimme klang nicht überzeugt. Garren hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Er beobachtete, wie die Gruppe um Elara zögerte, bevor Rurik einen Schritt nach vorne machte, scheinbar bereit, die Quelle des Geräuschs zu erkunden. Garren runzelte die Stirn. „Das werden sie nicht überleben,“ murmelte er. „Wir müssen eingreifen.“ „Wie?“ fragte Nara scharf. „Wir können uns nicht zeigen. Wenn sie uns entdecken, wird das die Dynamik zerstören.“ „Subtil,“ sagte Garren knapp. Er griff nach einem kleinen metallischen Gegenstand aus seiner Tasche – eine Art mechanisches Gerät, das leise summte, als er es aktivierte. Er hielt es für einen Moment in der Hand, bevor er es in die Dunkelheit schleuderte. Das Gerät landete mit einem kaum hörbaren Klacken in der Nähe der Quelle des Geräuschs und begann, ein schwaches Licht auszustrahlen, das sich wie eine Welle in den Nebel ausbreitete. Das Geräusch verstummte augenblicklich. Die Spannung in der Luft ließ nach, und die Gruppe um Elara schien sich langsam zu entspannen. Rurik blieb jedoch wachsam, seine Augen suchten die Umgebung ab, während Kael leise etwas zu Elara sagte. „Das war knapp,“ murmelte Nara, ihre Stimme kaum hörbar. Sie wandte sich an Garren. „Aber wir können nicht jedes Mal ihre Fehler korrigieren. Sie müssen lernen, wie man überlebt.“ „Das werden sie,“ antwortete Garren leise, ohne den Blick von der Gruppe um Elara zu nehmen. „Aber zuerst müssen wir sicherstellen, dass sie lange genug leben, um es zu lernen.“
Die Gruppe zog sich leise zurück, ihre Schritte so lautlos wie Schatten. Garren wusste, dass dies erst der Anfang war. Die Gruppe um Elara war wichtig, vielleicht sogar entscheidend. Doch sie waren auch ein Risiko – und es lag an ihm und seinen Leuten, sicherzustellen, dass dieses Risiko nicht außer Kontrolle geriet. Die Nacht zog sich weiter hin, und Garren führte seine Gruppe in Richtung eines weiteren strategischen Punktes, von dem aus sie die Route der Gruppe um Elara beobachten konnten. Der Weg führte sie durch zerfallene Gassen und vorbei an einem Turm, der wie ein stummer Zeuge über die Ruinen wachte. Nara hielt immer wieder inne, lauschte auf die Geräusche der Umgebung und warf Garren dann einen fragenden Blick zu. Er nickte ihr beruhigend zu. Sie mussten wachsam sein, denn der Nebel war niemals still. Ein flüchtiges Rascheln ließ Marek abrupt stehen bleiben. Er hob die Hand und deutete auf eine schmale Seitengasse, aus der das Geräusch gekommen war. Garren trat an seine Seite, sein Blick bohrte sich in die Dunkelheit. „Nur ein Tier?“ fragte Nara leise, das Messer in der Hand bereit. „Vielleicht,“ antwortete Garren, seine Stimme ein Hauch von Vorsicht. Doch etwas an der Bewegung schien ihm zu schnell, zu gezielt. „Gehen wir weiter. Keine unnötigen Risiken.“ Die Gruppe bewegte sich leise durch die Ruinen, wie Schatten, die mit den Dunkelheiten verschmolzen. Garren konnte den vertrauten Druck der Verantwortung spüren, der auf ihm lastete. Sie mussten diese Nacht überstehen – und die Gruppe um Elara ebenfalls.
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