Elara Schatten im Nebel Kapitel 11

Der Gebrochene

Die Nacht war still, bis auf das leise Rascheln des Windes, der durch die Ruinen strich. Elara, erschöpft von der Reise, saß mit dem Rücken an einen zerfallenen Pfeiler gelehnt. Die Gruppe hatte an einem alten Rastplatz haltgemacht, einem Ort, den Kael sicher genannt hatte, auch wenn die bedrückende Atmosphäre des Nebels das Gefühl von Sicherheit trübte. Rurik saß ein Stück entfernt, in einen Mechanismus vertieft, den er aus Ersatzteilen improvisiert hatte, während Clara und Finn ruhig mit dem Kind flüsterten, das auf Claras Schoß ruhte.

Kael blieb wachsam, seine Augen durchsuchten die Schatten, als könnte er eine unsichtbare Gefahr wittern. Doch Elara spürte etwas anderes. Etwas, das sie dazu drängte, die Augen zu schließen. Kaum hatte sie das getan, überkam sie ein seltsames Gefühl, als würde der Raum um sie herum verschwimmen. Sie fand sich plötzlich in einer vollkommen anderen Szenerie wieder. Der Nebel war dichter hier, greifbarer, und vor ihr lag ein großer See, dessen Wasser in unnatürlichem Licht glitzerte. Aus der Mitte des Sees ragten die Ruinen eines alten Bauwerks, schwarze Steine, die von einer fremdartigen Energie umhüllt schienen. Es war, als würde der See selbst atmen. Eine Stimme – oder vielmehr ein Flüstern – zog sie näher. „Komm…“ Die Worte schienen direkt in ihrem Kopf zu entstehen, getragen von einer Macht, die sowohl verlockend als auch bedrohlich war. Sie wollte widerstehen, doch ihre Schritte führten sie weiter. Inmitten der Ruinen konnte sie eine Gestalt erkennen. Groß, gebeugt, umgeben von Schatten, die wie lebendige Kreaturen zuckten. Das Gesicht war undeutlich, doch die Augen – ein geisterhaftes Blau – hielten ihren Blick gefangen. Die Gestalt sprach nicht, aber Elara spürte die Bedeutung der Präsenz. Etwas wollte sie warnen. Oder vielleicht locken. „Was bist du?“ flüsterte sie, doch die Worte verloren sich im Nebel. Die Gestalt schien näher zu kommen, obwohl sie stillstand. Die Luft um Elara wurde schwerer, und ein Gefühl von tiefer, alles durchdringender Dunkelheit kroch in ihr Inneres. Sie wollte zurückweichen, doch ihre Füße waren wie in den Boden verwurzelt. Dann, plötzlich, eine andere Stimme. Heller, sanfter, aber nicht weniger eindringlich. Es war das Kind, ihre Worte klar, obwohl das Mädchen in der Vision nicht zu sehen war. „Du darfst ihm nicht glauben. Was er sagt, ist eine Lüge.“ Die Vision zerbrach.

Elara riss die Augen auf, ihr Atem ging schwer, und sie spürte den kalten Schweiß auf ihrer Stirn. Die Gruppe um sie herum war noch immer in ihre eigenen Aufgaben vertieft, niemand hatte bemerkt, was geschehen war. Doch Elara wusste, dass dies keine einfache Träumerei gewesen war. Kael bemerkte ihre plötzliche Anspannung und trat zu ihr. „Alles in Ordnung?“ Seine Stimme war leise, aber wachsam. Elara nickte zögerlich. „Ja… ich denke schon.“ Sie wusste, dass sie mehr hätte sagen sollen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Was auch immer sie gesehen hatte, es war eine Warnung – oder eine Falle. Und sie konnte nicht sicher sein, welche von beiden. „Wir sollten weiterziehen, sobald der Morgen graut,“ sagte Kael, und Elara spürte, wie seine Augen sie forschend musterten, bevor er sich abwandte. Doch der See und die Ruinen ließen sie nicht los. Irgendetwas wartete dort. Und es wusste, dass sie kommen würde. Ein leises Wimmern riss Elara aus ihren Gedanken. Es kam von dem Kind, das auf Claras Schoß ruhte. Die kleine Gestalt bewegte sich, die Augenlider flatterten, und dann, mit einem tiefen Atemzug, öffnete das Mädchen die Augen. Sie waren von einem ungewöhnlichen Grün, das im Licht des Feuers fast leuchtete. Clara beugte sich erleichtert über sie. „Du bist wach,“ sagte sie sanft, und Finn sah mit einer Mischung aus Neugier und Sorge zu. „Wie fühlst du dich?“ Das Mädchen blinzelte, als müsste es die Welt um sich neu zusammensetzen. „Wo… bin ich?“ fragte sie mit einer Stimme, die schwach, aber klar war. Ihre Augen wanderten von Clara zu Finn und schließlich zu Elara, die sich langsam näherte. „Du bist in Sicherheit,“ sagte Elara und hockte sich neben sie. „Wir haben dich gefunden und mitgenommen. Kannst du uns deinen Namen sagen?“ Das Mädchen zögerte, als müsste sie tief in ihrer Erinnerung graben. „Ich…“ Sie hielt inne, dann flüsterte sie: „Mira. Mein Name ist Mira.“ Clara lächelte sanft. „Mira. Das ist ein schöner Name.“ Mira sah sich um, ihre Augen füllten sich mit einer Mischung aus Angst und Neugier. „Ist… der Nebel noch da?“ fragte sie, ihre Stimme zitterte leicht. „Er ist überall,“ antwortete Finn ehrlich, doch Clara legte ihm schnell eine Hand auf den Arm, bevor er mehr sagen konnte. „Aber wir sind hier, um dich zu beschützen,“ fügte Elara hinzu. „Niemand wird dir etwas tun.“ Mira sah Elara lange an, bevor sie langsam nickte. Doch in ihren Augen lag ein Wissen, das weit über das hinausging, was ein Kind wissen sollte. Elara spürte ein leichtes Frösteln, als Mira schließlich ihre Augen schloss und wieder in einen leichten Schlaf fiel. Einige Stunden später, als der Morgen fast graute, wachte Mira erneut auf. Diesmal wirkte sie wacher, ihre Augen funkelten im Halblicht. Sie setzte sich vorsichtig auf, Clara hielt sie stützend. „Mira, möchtest du uns erzählen, wie du in die Gasse gekommen bist, wo wir dich gefunden haben?“ fragte Elara vorsichtig, ihre Stimme leise und einfühlsam. Das Mädchen starrte in die Glut des erlöschenden Feuers und schwieg einen Moment. „Ich war… auf der Suche nach einem Ort, um mich zu verstecken,“ begann sie langsam. „Der Nebel war überall. Er… er flüsterte. Und dann kamen sie.“

Sie hielt inne, und ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten. „Die Schatten. Sie wollten mich holen.“ Finn tauschte einen besorgten Blick mit Clara, doch keiner von beiden unterbrach Mira. „Ich habe mich in der Gasse versteckt,“ fuhr Mira fort. „Aber sie haben mich gefunden. Sie sagten, ich gehöre ihnen. Dass der Nebel mich ruft.“ Ihre Stimme brach, und Tränen stiegen ihr in die Augen. „Ich habe geschrien, aber niemand kam. Bis du da warst,“ sagte sie und schaute Elara an. Elara legte eine Hand auf Miras Schulter. „Du bist jetzt in Sicherheit. Niemand wird dich holen.“ Mira wischte sich die Tränen ab, ihre Stimme wurde leiser. „Ich komme aus einem kleinen Dorf. Wir waren viele, aber der Nebel hat uns auseinandergerissen. Ich weiß nicht, ob noch jemand da ist…“ Kael trat näher, seine Augen prüfend auf Mira gerichtet. „Weißt du, warum der Nebel dich verfolgt?“ fragte er vorsichtig. Mira sah ihn an, und für einen Moment schien ihre kindliche Fassade zu bröckeln. „Ich glaube… ich habe etwas, das er will. Aber ich weiß nicht, was es ist.“ Eine drückende Stille legte sich über die Gruppe, bis Rurik schließlich das Wort ergriff. „Dann werden wir dafür sorgen, dass er es nicht bekommt.“ Der Nebel lag schwer über dem Groß Behnitzer See. Die einst klare Wasseroberfläche war nun eine trübe Masse, die in einem unnatürlichen, schwachen Licht glänzte. Ein kaum wahrnehmbares Pulsieren ging von ihr aus, ein Rhythmus, der wie ein leiser Herzschlag in der Stille widerhallte. Die Ruinen eines alten Bauwerks erhoben sich aus der Mitte des Sees, ihre schwarzen Steine vom Nebel überzogen, als hätte dieser selbst sie geformt. Am Ufer stand eine Gestalt, groß und gebeugt, mit einer Aura, die die Luft um sie herum schwerer machte. Seine Silhouette war von verzerrter Menschlichkeit – Arme und Beine zu lang, der Kopf leicht geneigt, als würde er lauschen. Doch es war sein Gesicht, das den meisten, die es jemals sahen, im Gedächtnis blieb. Es war das Gesicht eines Mannes, oder vielmehr das, was davon übrig war. Die Haut war grau und rissig, wie alte Rinde, und die Augen glühten in einem geisterhaften Blau, das keine Menschlichkeit mehr zeigte.

Dies war der Gebrochene.

Seine Lippen bewegten sich, doch kein Ton war zu hören. Stattdessen flüsterte der Nebel, übermittelte seine Worte an die Schatten, die über das Land krochen. Die Schatten waren seine Augen und Ohren, seine Arme und Beine. Sie waren nicht nur Werkzeuge – sie waren ein Teil von ihm. „Findet sie“, hauchte der Nebel, und die Schatten reagierten. Sie wanden sich über das Wasser, krochen die Ufer hinauf und verschwanden in die Dunkelheit der umliegenden Wälder. Der Gebrochene stand still, doch seine Gedanken arbeiteten unablässig. Er war nicht immer dieses Ding gewesen. Er erinnerte sich an eine Zeit, in der er ein Mann gewesen war, ein Vater. Eine Kindheit, ein Leben, das so fern war, dass es sich wie ein fremder Traum anfühlte. Doch der Nebel hatte ihn genommen, hatte seine Erinnerungen verzerrt, seine Menschlichkeit zerschmettert und ihn zu diesem Ding gemacht. Die Ruinen auf dem See waren sein Gefängnis, aber auch sein Thron. Er konnte nicht weit reisen, nicht wie seine Schatten. Doch er brauchte es nicht. Die Welt kam zu ihm – oder wurde von ihm geholt. Jetzt war Elara sein Ziel. Sie war mit einem Artefakt in Berührung gekommen, das den Nebel beunruhigte und ihn aus seinem ewigen, gequälten Schlummer aufgerüttelt hatte. Obwohl die Kugel zurückgelassen worden war, hallte ihre Wirkung weiterhin nach, wie eine unauslöschliche Welle, die ihn immer noch erreichte. Doch es war nicht nur Elara. Sein Blick in die Schatten offenbarte ihm die Anwesenheit eines weiteren Lichtes, eines Wesens, das ihn ebenso anzog wie abstoßend wirkte. Das Kind. Ein Knoten aus Energie und Bedeutung, der den Nebel herausforderte. Es war jung und zerbrechlich, aber in ihm lag eine Kraft verborgen, die der Gebrochene nicht vollständig begreifen konnte. Es war eine Bedrohung, ein Störfaktor in seinem Spiel. Das Kind durfte nicht existieren, durfte nicht stark genug werden, um sein Gleichgewicht zu gefährden. Die Schatten hatten schon früher versucht, es zu brechen. In jener Nacht, als Elara sie fand, war es fast gelungen. Doch das Kind hatte überlebt, und das bedeutete, dass es stärker war, als er erwartet hatte. Der Gedanke daran ließ etwas wie Wut durch ihn ziehen – oder war es Angst? In seinem verdrehten Bewusstsein erkannte er die Gefahr, aber auch die Möglichkeit. Dieses Artefakt, diese Kugel, hatte eine Verbindung zu den Siegeln und könnte der Schlüssel zu seiner eigenen Erlösung sein. Selbst in Abwesenheit des Artefakts spürte er seine Energie wie ein entferntes Echo, das in ihm nachhallte. Der Gedanke an Erlösung war bittersüß, doch er hielt daran fest. Es war ein Hauch von Hoffnung, der gegen die Dunkelheit in ihm kämpfte. Doch das Kind? Es konnte weder genutzt noch toleriert werden. Es musste verschwinden. Der Nebel verdichtete sich um ihn, und ein weiteres Flüstern ging durch die Luft. „Sie kommt…“ Die Schatten hatten ihn informiert. Elara bewegte sich in seine Richtung, angezogen vom Unheil des Havellands und der seltsamen Energie des Sees. Der Gebrochene spürte ihre Nähe wie eine Welle aus Licht und Schmerz. Es war fast zu viel, doch er konzentrierte sich, sammelte seine zerbrochenen Gedanken. Seine Lippen verzogen sich zu einem gequälten Lächeln. „Bald“, flüsterte er, und das Wort hallte im Nebel wider wie ein unheilvolles Versprechen.

Der Morgen dämmerte langsam, und die Gruppe bereitete sich darauf vor, ihre Reise fortzusetzen. Doch bevor sie aufbrachen, war Mira wieder eingeschlafen, ihre kleinen Hände um Claras Arm geschlungen. Während Rurik sich mit seinen Geräten beschäftigte und Finn leise mit Kael sprach, zog sich Elara ein Stück zurück, um die Gedanken zu ordnen, die in ihrem Kopf tobten. Die Vision des Sees und der Ruinen ließ sie nicht los. Aber es war nicht nur der Ort selbst – es war die Lichtgestalt, die ihr im Altarraum begegnet war, ein Wesen, das sie mit Wärme und Schutz erfüllt hatte, aber auch mit Rätseln. Elara schloss die Augen, lehnte sich an einen Baum und versuchte, die Erinnerung wieder hervorzurufen. Der Raum hatte im Licht der Kugel geleuchtet, und inmitten der Dunkelheit hatte sich diese Gestalt gezeigt, ein Wesen aus reinem Licht. Ihre Stimme war ruhig gewesen, voller Wissen und zugleich voller Distanz. „Du bist nicht allein, Suchende,“ hatte die Gestalt gesagt, ihre Worte gleichzeitig beruhigend und bedrückend. Sie hatte die Schatten zurückgedrängt, die Dunkelheit gelichtet, doch ihre Worte hatten eine schwere Verantwortung in Elaras Brust hinterlassen. „Der Nexus kann geschlossen oder entfesselt werden. Wähle weise.“ Diese Worte hallten immer noch in Elaras Geist wider. Die Lichtgestalt hatte keine einfachen Antworten gegeben. Stattdessen hatte sie Elara vor eine Wahl gestellt – eine Wahl, deren Konsequenzen sie nicht vollständig begreifen konnte. „Was passiert, wenn ich schließe?“ hatte Elara gefragt. „Die Barriere wird gestärkt,“ hatte die Lichtgestalt erklärt, ihre Stimme voller Klarheit. „Doch zu einem Preis. Die Energie, die die Welten verbindet, wird in den Nexus fließen, und was dahinter lauert, wird vorerst gebunden bleiben. Doch die Balance ist fragil, und dies wird nicht das Ende sein.“ Die Worte hatten Elara verwirrt. Sie hatte nach einer Alternative gefragt: „Und wenn ich entfessele?“ Die Antwort der Lichtgestalt war zögernder gewesen, als hätte sie selbst Angst vor den Konsequenzen: „Der Nebel wird seinen Anker verlieren. Er wird chaotisch, zerstörerisch, doch zugleich wird das Siegel seine wahre Natur offenbaren. Das Wissen, das lange verborgen war, wird zugänglich. Doch dieses Wissen ist keine Garantie für Sieg.“

Elara hatte in diesem Moment keine klare Wahl gesehen. Sie erinnerte sich daran, wie sie die Hand auf die Kugel gelegt hatte, den Raum in Licht gehüllt hatte und die Schatten sich zurückgezogen hatten. Doch die Lichtgestalt hatte nicht von Triumph gesprochen. „Du hast Zeit gewonnen, Suchende, doch keine Antwort,“ hatte sie gesagt, bevor sie verblasste. „Die Energie des Nexus ist nicht zerstört. Sie ist gebunden, doch sie wird immer einen Weg suchen. Finde die Antworten, bevor die Schatten es tun.“ Jetzt, unter den ersten Strahlen des Morgens, fühlte Elara die Bürde dieser Worte. Sie hatte den Nexus gestärkt, aber nichts war endgültig gelöst. Die Wächterin, wie sie das Lichtwesen für sich nannte, war fort, doch ihre Worte und ihre Andeutungen blieben. Warum hatte sie geholfen? War sie wirklich neutral, ein Beobachter, oder war ihre Hilfe Teil eines größeren Plans, den Elara noch nicht verstehen konnte? Kael bemerkte ihre Nachdenklichkeit und trat zu ihr. „Wir sollten aufbrechen,“ sagte er leise. Elara nickte und drückte sich von dem Baum ab. Doch während sie zu den anderen zurückging, wusste sie, dass die Lichtgestalt und ihre Warnung nicht einfach verschwinden würden. Der Nexus und die Schatten waren nur die Spitze des Eisbergs – und Elara spürte, dass sie bald tiefer graben müsste, um zu verstehen, was wirklich auf dem Spiel stand. Die Gruppe bewegte sich langsam durch das unwegsame Gelände, das von dichtem Nebel durchzogen war. Der Boden war feucht und uneben, das Unterholz voller verborgener Stolperfallen. Kael führte die Gruppe an, sein Schritt sicher, als könnte er die Gefahren spüren, bevor sie sichtbar wurden. Elara folgte ihm in kurzem Abstand, ihre Gedanken waren schwer von den Ereignissen des Morgens. Nach einer Weile des Schweigens beschloss Elara, das unangenehme Gefühl der Unwissenheit zu brechen. Sie beschleunigte ihren Schritt, bis sie neben Kael lief. „Du bist erstaunlich gut darin, dich hier zurechtzufinden,“ begann sie, ihre Stimme leise, aber neugierig. „Warst du schon oft hier draußen?“ Kael warf ihr einen kurzen Blick zu, seine Augen kühl und wachsam. „Ich bin oft unterwegs gewesen. Man lernt, sich anzupassen.“ Seine Antwort war knapp, und seine Aufmerksamkeit kehrte sofort zum Pfad vor ihnen zurück. Elara ließ sich nicht so leicht abschütteln. „Was meinst du mit ‘anpassen’? Hast du früher auch in der Stadt gelebt, oder warst du immer schon auf der Flucht?“ Kael zögerte, bevor er antwortete. „Die Stadt hat mich nicht gehalten. Aber ich würde nicht sagen, dass ich immer auf der Flucht war. Manchmal sucht man etwas anderes, etwas, das nicht vergiftet ist.“ „Vergiftet?“ Elara runzelte die Stirn. „Du meinst den Nebel?“ „Den Nebel. Und das, was er mit den Menschen macht.“ Kael sprach ruhig, aber seine Worte trugen ein Gewicht, das Elara nicht überhörte. „Manchmal ist das, was du hinter dir lässt, genauso gefährlich wie das, was vor dir liegt.“ „Und was hast du hinter dir gelassen?“ fragte Elara, ihre Stimme sanft, aber drängend.

Sie wollte mehr verstehen, mehr von ihm erfahren. Kael hielt inne, sein Blick fixierte einen Punkt im Nebel vor ihnen. Für einen Moment schien er etwas sagen zu wollen, doch dann zuckte er mit den Schultern. „Manche Dinge sind besser begraben.“ Elara biss sich auf die Lippen, enttäuscht über seine Ausweichantwort. Doch sie gab nicht auf. „Du scheinst dich gut mit dem Nebel auszukennen. Hast du… hast du etwas gesehen, das dich dazu gebracht hat, ihn zu fürchten?“ Kael lachte leise, ein bitterer Klang, der nicht zu seinem sonst stoischen Auftreten passte. „Jeder, der mit dem Nebel in Berührung kommt, fürchtet ihn. Es ist keine Frage des ‘Ob’, sondern des ‘Wann’. Aber ja, ich habe Dinge gesehen. Dinge, die die meisten Menschen nicht überleben würden.“ „Wie hast du überlebt?“ Elara war jetzt näher an ihn herangerückt, ihre Neugier wuchs mit jedem vagen Satz, den er von sich gab. Kael wandte sich ihr zu, sein Blick scharf. „Vielleicht habe ich nicht alles überlebt. Man verliert Teile von sich, weißt du? Der Nebel nimmt, was er will, und du kannst nur hoffen, dass etwas von dir übrig bleibt.“ Elara spürte einen Kloß in ihrem Hals. Seine Worte waren so vielsagend und doch so voller Leere, dass sie ihn nicht weiter bedrängen wollte. Doch sie musste wissen, warum er sich ihnen angeschlossen hatte. „Kael, warum hilfst du uns? Du kennst uns kaum, und trotzdem führst du uns durch all das hier.“ Er schwieg lange, seine Augen fixierten einen unsichtbaren Punkt in der Ferne. Schließlich sagte er: „Manchmal ist es leichter, jemandem zu helfen, als mit dem eigenen Schatten allein zu sein.“ Diese Worte hingen schwer in der Luft, und Elara wusste, dass sie keine weiteren Antworten bekommen würde. Nicht heute. Doch das Rätsel um Kael ließ sie nicht los. Wer war er wirklich, und was trieb ihn an? Die Gruppe setzte ihren Weg fort, das Gewicht unausgesprochener Wahrheiten lastete auf jedem Schritt.

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