Elara Schatten im Nebel Kapitel 13

Im Licht des Mondes

Die Nacht legte sich schwer über den Waldpfad, den die Gruppe durch den geheimen Durchgang unter der Mühle erreicht hatte. Der Durchgang hatte sich als weit mehr als nur ein simpler Fluchtweg herausgestellt. Die Luft darin war stickig gewesen, und die Wände waren von unheimlichen Runen und alten Gravuren bedeckt, die ein pulsierendes Licht ausstrahlten, das an die mysteriösen Erscheinungen in der Prophezeiung erinnerte.

Jedes Mal, wenn sie einen weiteren Schritt taten, schien das Summen in ihren Köpfen lauter zu werden, als ob der Gang selbst mit ihnen kommunizieren wollte. Es war Kael gewesen, der schließlich das Ende des Durchgangs erreicht und die verborgene Tür nach draußen geöffnet hatte. Der Moment, in dem sie die frische Luft und das fahle Mondlicht wieder gespürt hatten, war eine Erleichterung gewesen. Doch Elara konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas in den Schatten des Ganges zurückgeblieben war – oder sie begleitet hatte.Jetzt schritt die Gruppe schweigend durch den Wald, jeder in Gedanken versunken. Die einzigen Geräusche waren das gelegentliche Knirschen von Steinen unter ihren Stiefeln und das leise Rauschen des Windes in den Bäumen. Elara hielt sich etwas abseits, während sie den anderen folgte. Das fahle Mondlicht brach durch die Baumwipfel und fiel in silbernen Streifen auf den Boden, bot jedoch kaum Trost. Ihre Gedanken wanderten zu Kael, der wie ein Schatten durch ihr Leben getreten war, voller Geheimnisse und widersprüchlicher Signale. Seit ihrer ersten Begegnung hatte er sie sowohl fasziniert als auch frustriert. Er war verschlossen, sprach nur das Nötigste über sich selbst, und doch war da eine Intensität in seinen Augen, die sie nicht ignorieren konnte. Was hatte ihn dazu gebracht, diese Zuflucht zu erschaffen? Was trieb ihn an, und warum schien er manchmal so, als würde er jeden in der Gruppe auf Abstand halten? Sie erinnerte sich an die Momente, in denen er kurz aufblitzte – ein leises Lächeln, eine entschlossene Geste, die Andeutung von etwas Weicherem hinter der harten Fassade. Doch diese Momente waren selten und schnell wieder verschwunden, wie ein Licht, das hinter schweren Wolken verborgen wurde. Sie fragte sich, ob er jemals jemandem wirklich vertraute, oder ob er genauso sehr gegen seine eigenen Dämonen kämpfte wie sie selbst gegen ihre. Ihre Gedanken wurden von einem leisen Geräusch unterbrochen. Sie blickte nach vorne und sah Mira, die mit kleinen Schritten hinter Clara und Finn herging. Das Mädchen wirkte müde, doch ihre Augen waren weit geöffnet, und sie schien jeden Schatten und jede Bewegung im Wald aufmerksam zu beobachten. Elara verspürte einen Stich in der Brust. Sie konnte sich nur vorstellen, was dieses Kind durchgemacht hatte, und trotzdem schien Mira eine Kraft in sich zu tragen, die Elara nicht ganz verstand. „Kannst du nicht aufhören zu grübeln?“ Die Stimme ließ sie zusammenzucken. Kael war neben sie getreten, leise wie der Wind. Sein Gesicht war nur halb im Mondlicht zu erkennen, doch seine Augen suchten ihren Blick. „Nicht wirklich,“ antwortete Elara leise. „Zu viele Gedanken.“ Er nickte, als würde er das verstehen. „Es wird nicht einfacher, weißt du. Die Fragen hören nie auf. Aber manchmal… helfen sie dir, die Antworten zu finden.“ Sie musterte ihn, suchte in seinen Worten nach einer Spur von Wahrheit oder vielleicht einer eigenen Erfahrung. „Ist das das Geheimnis? Fragen zu stellen, bis die Antworten dich finden?“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Oder du hörst auf, die Fragen zu stellen, und machst einfach weiter.“ Elara wollte etwas erwidern, doch er hatte sich bereits abgewandt und ging nach vorne zu den anderen, die ein Stück weiter voraus waren. Sie sah ihm nach, fühlte, wie sich etwas in ihr regte – ein seltsames Gemisch aus Neugier und Frustration.

Kael war wie ein Puzzle, dessen Teile nicht zusammenpassen wollten, und trotzdem spürte sie, dass er eine entscheidende Rolle in all dem spielte. Der Wind fuhr durch die Äste über ihnen, und Elara lenkte ihren Blick wieder auf den Pfad. Ihre Gedanken kreisten weiter, doch sie wusste, dass sie in dieser Nacht keine Antworten finden würde. Die Nacht war längst hereingebrochen, und das fahle Licht des Mondes schien durch die Bäume und warf bewegte Schatten auf den Pfad vor ihnen. Die Gruppe hatte sich in ein rhythmisches Schweigen gefügt, jeder von ihnen in Gedanken versunken. Elara hielt sich etwas zurück, um Abstand zu gewinnen, und ließ ihren Blick auf Kael ruhen, der weiter vorne ging. Er bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit durch den Wald, als würde er jeden Stein und jeden Baum kennen. Seine Schultern waren leicht gesenkt, doch sein Gang war zielstrebig. Es war, als ob er genau wusste, wohin er sie führte, und doch nichts darüber preisgeben wollte. Diese Mischung aus Sicherheit und Verschlossenheit war es, die Elara so irritierte und gleichzeitig faszinierte. Seit ihrer ersten Begegnung war er für sie ein Rätsel gewesen. Er sprach wenig über sich selbst, antwortete auf direkte Fragen oft nur vage, und doch schien er immer mehr zu wissen, als er zeigte. Es war nicht nur seine Verschwiegenheit, die sie beschäftigte, sondern auch die Art, wie er beobachtete. Kael schien alles zu sehen und zu bewerten, ohne jemals seine Gedanken zu teilen. Elara erinnerte sich an den Moment, als er ihr die Karten gezeigt hatte, die er in der Zuflucht aufbewahrte. Jede Linie, jede Markierung war sorgfältig gezogen, mit Notizen versehen, die eine lange und mühevolle Planung verrieten. Dieser Mann plante weit voraus, und doch fragte sie sich, warum jemand mit so viel Weitblick sich einer Gruppe wie ihrer anschloss. Warum führte er sie jetzt? War es reiner Pragmatismus oder etwas Tieferes, das er verbarg? Ein weiteres Bild drängte sich in ihren Gedanken, eines, das sie nicht loslassen konnte: Kael in der alten Mühle, wie er mit fast zärtlicher Vorsicht die Gravuren betrachtete. In diesen kurzen Momenten, wenn er dachte, niemand sah ihn, schien er weicher, weniger distanziert. Es war ein Kontrast zu der kontrollierten, fast kühlen Fassade, die er sonst zeigte. Was hatte ihn geformt? Elara konnte nicht anders, als sich zu fragen, was in seiner Vergangenheit lag. Hatte er Familie gehabt? Freunde? Oder war er wie sie – ein Suchender, der keine andere Wahl hatte, als vorwärts zu gehen? Der Gedanke ließ sie nicht los, und ein leises Gefühl von Mitleid regte sich in ihr, das sie sofort wieder wegschob. Kael brauchte kein Mitleid, und er hatte sicher auch keinen Platz dafür in seinem Leben. Doch so sehr sie sich bemühte, ihre Gedanken zu ordnen, immer wieder kam sie zu einem Punkt zurück: Vertrauen. Sie konnte spüren, dass Kael mehr wusste, als er sagte, dass er etwas vor ihnen allen verbarg. Aber war es eine Gefahr oder eine Schutzmaßnahme? Und warum, trotz all ihrer Zweifel, fühlte sie sich von ihm angezogen, als könnte er ihr Antworten auf Fragen geben, die sie noch nicht einmal zu stellen wagte? Elara bemerkte nicht, dass sie stehen geblieben war, bis die Gruppe einige Schritte weiter war.

Kael drehte sich kurz um, sein Blick suchte ihren, und sie konnte nichts in seinen dunklen Augen lesen. Er hob eine Augenbraue, als wollte er fragen, ob alles in Ordnung war. Sie nickte knapp und setzte sich wieder in Bewegung, doch ihre Gedanken kreisten weiter um ihn. Die Schatten der Bäume schienen sich tiefer um sie zu legen, und Elara fühlte sich wie eine Suchende, nicht nur nach Antworten im Nebel, sondern auch nach einem Verständnis für den Mann, der sie so unaufhaltsam in die Dunkelheit führte. Elara konnte ihre Gedanken nicht ordnen. Etwas an Kael zog sie an und stieß sie zugleich ab, wie eine unsichtbare Kraft, die sie in ihren Bann zog, nur um sie gleichzeitig auf Abstand zu halten. Seine Bewegungen waren so kontrolliert, als würde er jeden Schritt im Voraus berechnen, und doch war da eine Spur von Verletzlichkeit, die sie nicht ignorieren konnte. Elara war frustriert, weil sie keine Antworten hatte. Sie hasste es, im Unklaren zu bleiben, und Kael war ein einziges Rätsel. Seine Zurückhaltung und seine Art, immer nur gerade genug zu sagen, um Fragen abzuwehren, machten sie wütend, doch es war mehr als das. Sie spürte, dass er nicht grundlos so war. Etwas in seiner Vergangenheit hatte ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war, und obwohl sie wusste, dass sie keine Zeit für Mitleid hatte, konnte sie nicht anders, als es zu fühlen. Und dann war da diese unerklärliche Faszination. Sie wusste nicht, ob es seine Augen waren, die so viel zu sehen schienen und doch nichts preisgaben, oder seine ruhige Stimme, die immer so klang, als wüsste er mehr, als er sagte. Sein Gesicht war markant, mit scharfen Wangenknochen und einer dunklen Bartlinie, die sein Auftreten noch geheimnisvoller machte. Seine Haare waren ein unruhiger Schatten, der bei jeder Bewegung seiner Schritte mitwogte, und doch schien er niemals zerzaust auszusehen. Es war, als würde alles an ihm – selbst das Chaos – einer verborgenen Ordnung folgen. Aber es war da, ein unausgesprochener Sog, der sie dazu brachte, ihn verstehen zu wollen. Und vielleicht, dachte sie bitter, war das der größte Fehler, den sie machen konnte. Jemanden verstehen zu wollen, der so offensichtlich nicht verstanden werden wollte. Elara biss die Zähne zusammen und zwang sich, nach vorne zu schauen, weg von ihm. Ihre Schritte knirschten auf dem steinigen Pfad, und sie fühlte den kalten Wind, der durch die Bäume fuhr, doch er brachte keine Klarheit. Kael war ein Knoten aus Geheimnissen, und sie fragte sich, ob es überhaupt möglich war, ihn zu entwirren, oder ob sie dabei nur tiefer in sein Chaos hineingezogen würde.

Sie erinnerte sich an den Moment, als er sich im Wald zu ihr umgedreht hatte, sein Blick so unergründlich wie immer. Es war, als hätte er die Fähigkeit, in sie hineinzusehen, ohne ihr auch nur einen Hauch von sich selbst zu zeigen. Und das machte sie wütend. Wütend auf ihn, auf sich selbst und auf die Situation, in der sie steckten. Warum fühlte sie überhaupt etwas für ihn? Warum konnte sie ihn nicht einfach als das sehen, was er war: ein Verbündeter, ein Mitstreiter auf dieser gefährlichen Reise? Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es nicht so einfach war. Kael war mehr als ein Mitstreiter. Er war ein Rätsel, das sie lösen wollte, und gleichzeitig die eine Person, die sie nicht lösen konnte. Sie hasste diese Unsicherheit, dieses Unvermögen, klar zu sehen. Aber sie wusste auch, dass sie ihn nicht ignorieren konnte. Nicht, solange er Teil der Gruppe war, nicht, solange er in ihrer Nähe war. Der Mond schien weiter auf sie herab, sein Licht tanzte durch die Äste, und Elara fühlte sich, als ob sie selbst ein Schatten in dieser Welt war, gefangen zwischen dem Verlangen nach Klarheit und der Angst vor dem, was sie finden könnte. Sie zwang sich, den Kopf zu heben und nach vorne zu blicken, auf den Weg, der vor ihnen lag. Doch die Fragen über Kael ließen sie nicht los, und sie wusste, dass sie es noch lange nicht schaffen würde, sie zur Ruhe zu bringen. Die Gruppe hatte stundenlang durch den dichten Wald marschiert, bis Rurik schließlich vorschlug, eine Rast einzulegen. „Wir brauchen alle eine Pause,“ sagte er knapp, während er seinen schweren Rucksack abstellte und sich streckte. Kael nickte zustimmend, und auch die anderen ließen sich nach und nach nieder, dankbar für die Gelegenheit, kurz auszuruhen.Clara und Finn saßen etwas abseits der Gruppe. Der Wald um sie herum war still, bis auf das leise Rascheln der Blätter im Wind. Das Feuer, das Rurik entzündet hatte, spendete ihnen etwas Licht, doch die Schatten der Bäume schienen immer noch unheimlich nah. Finn zog seine Knie an die Brust und starrte in die Flammen, während Clara einen flachen Stein mit der Hand umdrehte und scheinbar gedankenlos die Rillen darauf nachzeichnete. „Sie ist… anders, oder?“ Finn brach das Schweigen, seine Stimme leise, als wolle er nicht, dass die anderen zuhörten. Clara sah auf, ihre Augen blieben für einen Moment auf seinem Gesicht haften, bevor sie nickte. „Mira? Ja, sie ist anders.“ Sie legte den Stein beiseite und verschränkte die Arme. „Aber anders ist vielleicht genau das, was wir brauchen.“ Finn runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nur nicht… wie kann sie so ruhig bleiben? Nach allem, was passiert ist?“ Seine Stimme brach leicht, und Clara konnte die Anspannung in ihm spüren. „Vielleicht…“ Clara hielt inne, suchte nach den richtigen Worten. „Vielleicht hat sie keine andere Wahl. Manchmal… musst du einfach ruhig bleiben, weil die Alternative schlimmer ist.“ Ihre Stimme klang rau, und sie wandte den Blick ab, als wäre sie nicht sicher, ob sie das wirklich sagen wollte. Finn blickte sie an, seine Augen suchten etwas, eine Antwort, die sie ihm nicht geben konnte. „Denkst du, sie hat Angst?“ fragte er schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Clara zuckte mit den Schultern. „Natürlich hat sie Angst. Jeder von uns hat Angst. Aber Mira… sie ist stark. Auf eine Weise, die ich nicht verstehe. Vielleicht liegt es daran, dass sie so jung ist. Kinder… sie sehen die Welt anders.“ Finn schwieg, doch seine Augen blieben auf Mira gerichtet, die in der Nähe des Feuers saß und scheinbar mit einem kleinen Stück Holz spielte. Ihre Bewegungen waren ruhig, fast mechanisch, und doch wirkte sie vollkommen bei sich.

Clara beobachtete ihn und bemerkte die tiefe Sorge, die sich in seinen Zügen abzeichnete. „Weißt du, Finn,“ begann sie leise, „sie erinnert mich manchmal an dich.“ Er blinzelte überrascht und wandte den Blick ab. „Mich? Warum das?“ „Du warst auch so,“ antwortete Clara und lehnte sich leicht zurück. „Still, nachdenklich. Aber da war immer etwas in dir, das… fest war. Etwas, das dich am Laufen gehalten hat, egal, wie schwer es wurde.“ Finn lachte leise, doch es klang hohl. „Vielleicht. Aber ich war nie so wie sie. Sie ist… ich weiß nicht. Es ist, als würde sie mehr wissen, als sie zeigt. Als würde sie uns alle irgendwie sehen.“ Clara neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Mira erneut. „Vielleicht tut sie das. Vielleicht sieht sie Dinge, die wir nicht sehen können. Oder vielleicht ist sie einfach ein Kind, das versucht zu überleben, genauso wie wir alle.“ Ein weiteres Schweigen senkte sich über sie, doch es war weniger schwer als zuvor. Finn zog die Arme enger um seine Knie und atmete tief durch. „Glaubst du, wir können sie beschützen?“ Clara schloss die Augen für einen Moment, bevor sie leise antwortete. „Ich weiß es nicht. Aber wir werden es versuchen. Das sind wir ihr schuldig.“ Finn nickte langsam, und das Feuer vor ihnen flackerte, als ob es ihre stillen Worte aufnahm und sie mit den Schatten des Waldes teilte. Die Nacht war dunkel, und doch schien es, als hätte sich ein Hauch von Hoffnung zwischen ihnen gelegt. Clara sah für einen Moment in die Flammen, ihr Gesicht von einem warmen, flackernden Licht beleuchtet. „Weißt du noch, Finn, als wir damals diesen alten Speicher gefunden haben? Gleich nachdem der Nebel angefangen hatte, die Stadt zu verschlingen?“ Finn hob überrascht den Blick, ein Hauch von einem Lächeln auf seinen Lippen. „Den Speicher? Ja, ich erinnere mich. Der mit dem durchlöcherten Dach und den kaputten Treppen?“ Clara nickte, und ein leises Lachen entkam ihr. „Der gleiche. Wir hatten nichts außer ein paar Rucksäcken voller Zeug, das wir nicht mal gebrauchen konnten. Ich weiß noch, wie du versucht hast, dieses verrückte Regal zu erklimmen, um an die Kiste oben zu kommen.“ Finn stöhnte gespielt und schüttelte den Kopf. „Es war nicht verrückt. Ich war hungrig, und du hast gesagt, dass dort Vorräte sein könnten. Außerdem warst du es, die mich angefeuert hat, weiterzuklettern.“ „Weil ich dachte, du schaffst es! Wer konnte ahnen, dass das Regal genau in dem Moment zusammenbricht?“ Clara schüttelte den Kopf und lächelte. „Ich weiß noch, wie du mit einem lauten Knall unten auf den Boden geknallt bist, und die Kiste… sie war leer. Nur Staub und ein paar alte Mäusefallen.“ Finn lachte jetzt ebenfalls, sein Lachen ein wenig rau, aber ehrlich. „Und trotzdem hast du mir hochgeholfen und gesagt, dass wir es wenigstens versucht haben. Ich dachte damals, du bist verrückt. Aber es hat irgendwie geholfen.“ Clara blickte zu ihm und zuckte mit den Schultern. „Manchmal ist Verrücktheit alles, was einen am Laufen hält. Wir hatten nichts, Finn. Keine Ahnung, was da draußen auf uns lauerte, keine Hoffnung. Aber wir haben weitergemacht.“ Finns Gesicht wurde ernster, und er senkte den Blick. „Ja. Und jetzt ist es Mira. Sie… sie erinnert mich an uns damals. Sie ist allein, aber sie gibt nicht auf.“

Clara legte eine Hand auf seine Schulter und drückte sie leicht. „Wir haben es geschafft. Und sie hat uns. Wir werden sie nicht im Stich lassen.“ Für einen Moment herrschte wieder Stille zwischen ihnen, doch sie war nicht bedrückend. Sie war gefüllt mit Erinnerungen und der unausgesprochenen Erkenntnis, dass sie mehr als einmal bewiesen hatten, dass sie zusammen überleben konnten. Das Feuer knisterte, und die Schatten tanzten weiter um sie herum, während sie sich in die Wärme der Flammen und ihrer gemeinsamen Geschichte hüllten. Die Flammen des Feuers tanzten weiter, und Clara brach das Schweigen, das sich nach ihrer letzten Erinnerung eingestellt hatte. „Weißt du, Finn,“ begann sie langsam, „hast du dir jemals Gedanken über die anderen gemacht? Ich meine, wirklich Gedanken?“ Finn blickte sie fragend an. „Die anderen? Was meinst du?“ Clara lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Na ja, Elara, Kael, Rurik… Wir sind alle so unterschiedlich. Und doch sitzen wir hier zusammen, als ob das ganz normal wäre.“ Finn warf einen Blick auf die Gruppe, die etwas weiter entfernt im Licht des Feuers ruhte. Elara saß still, ihre Augen auf das Feuer gerichtet, während Kael in der Dunkelheit fast verschwunden war, sein Gesicht nur kurz von den Flammen erleuchtet, wenn er sich bewegte. Rurik hatte sich an einen Baum gelehnt und schien sich auszuruhen, seine Silhouette wirkte schwer und unbeweglich. „Ich denke, wir alle tragen unser Päckchen mit uns,“ sagte Finn nachdenklich. „Elara zum Beispiel… sie ist stark. Aber manchmal frage ich mich, wie lange sie diese Last noch allein tragen kann. Sie versucht immer, die Kontrolle zu behalten, als wäre es ihre Pflicht, uns alle zu führen.“ Clara nickte zustimmend. „Ja, das stimmt. Aber vielleicht hat sie auch keine andere Wahl. Ich meine, jemand muss es ja tun. Und sie ist gut darin, Entscheidungen zu treffen. Aber ich sehe es in ihren Augen – diese Angst, dass sie uns vielleicht doch nicht beschützen kann.“ Finn runzelte die Stirn. „Und Kael? Was hältst du von ihm?“ Clara zog eine Augenbraue hoch und schürzte die Lippen. „Kael ist… schwierig. Er gibt nichts von sich preis, und trotzdem hat man das Gefühl, dass er alles über uns weiß. Es ist, als würde er die Regeln eines Spiels kennen, von dem wir nicht einmal wissen, dass wir es spielen. Aber er hat etwas an sich, das Vertrauen einfößt, auch wenn ich nicht genau sagen kann, warum.“ „Oder es ist genau das Gegenteil,“ murmelte Finn. „Vielleicht trauen wir ihm nur, weil wir nichts anderes haben.“ Clara warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. „Möglicherweise. Aber trotzdem… er hat uns geholfen. Und das ist mehr, als man von vielen anderen behaupten kann.“ Finn nickte langsam. Sein Blick wanderte zu Rurik. „Und Rurik? Was denkst du über ihn?“ Clara lachte leise. „Rurik erinnert mich an meinen Vater. Zäh, verschwiegen, aber mit einem Herz, das größer ist, als er je zugeben würde. Er hat diese raue Art, aber ich glaube, er würde alles tun, um uns zu beschützen.“ Finn folgte ihrem Blick zu dem alten Mann, der still verharrte, als würde er mit den Schatten des Waldes verschmelzen. „Ja, das glaube ich auch. Rurik hat etwas Verlässliches an sich. Als wäre er ein Fels, selbst wenn alles andere zerfällt.“ Clara schwieg einen Moment und betrachtete die Gruppe. „Wir sind alle so verschieden, Finn. Aber vielleicht brauchen wir genau das. Verschiedenheit. Vielleicht ist das unsere einzige Chance, das hier zu schaffen.“ Finn nickte, doch seine Augen verrieten, dass seine Zweifel nicht so leicht zu vertreiben waren. Die Nacht wachte still über die Gruppe, und die Flammen warfen ihre bewegten Schatten auf die Gesichter derer, die noch wächtern mussten. Die Nacht war ruhig, nur das gelegentliche Rascheln der Blätter im Wind durchbrach die Stille. Mira saß dicht neben Rurik, ihre kleinen Hände um die Knie geschlungen. Ihre Augen wirkten groß in der Dunkelheit, fast leuchtend, während sie die tanzenden Flammen des Feuers beobachtete. Elara hatte sie bemerkt, wollte jedoch nicht drängen.

Als Rurik aufstand, um ein paar Schritte in den Wald zu gehen, ließ Mira ihren Blick einen Moment folgen, bevor sie sich näher ans Feuer setzte, als hätte sie etwas zu sagen. Clara, die neben Finn saß, beobachtete die kleine Gestalt aufmerksam. Etwas an Miras Haltung ließ sie stutzen – eine Mischung aus Anspannung und etwas, das fast wie Entschlossenheit wirkte. „Mira, ist alles in Ordnung?“ fragte Clara schließlich, ihre Stimme leise, um die anderen nicht zu stören. Mira zuckte zusammen, als hätte sie nicht erwartet, angesprochen zu werden, aber dann nickte sie langsam. Ihre Finger spielten nervös mit einem kleinen Stück Holz, das sie auf dem Boden gefunden hatte. „Ja… ich meine, ich denke schon,“ murmelte sie. Clara warf Finn einen schnellen Blick zu, bevor sie sich näher zu Mira beugte. „Wenn du reden möchtest, wir sind hier,“ sagte sie sanft. „Es ist okay, wenn du uns etwas erzählen möchtest.“ Mira schaute auf, ihre großen Augen wirkten plötzlich noch größer im flackernden Licht des Feuers. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, schloss ihn dann aber wieder. Ein Moment verging, bevor sie sich entschloss, zu sprechen. „Ich habe… geträumt,“ begann sie leise. „Es war ein seltsamer Traum. Aber ich glaube, es war nicht nur ein Traum.“ Clara runzelte die Stirn. „Was meinst du?“ Mira zögerte, doch dann schienen die Worte aus ihr herauszufließen, als hätte sie sie die ganze Zeit zurückgehalten. „Ich war in einem Raum. Es war dunkel, aber da waren Lichter. Wie… wie Sterne, aber sie bewegten sich. Und ich konnte sie hören. Sie haben gesprochen. Nicht mit Worten, aber ich wusste, was sie sagen wollten.“ Finn runzelte die Stirn, während Clara aufmerksam lauschte. „Was haben sie gesagt, Mira?“ fragte sie vorsichtig. Mira schloss die Augen, als wollte sie sich erinnern. „Sie haben gesagt, dass der Nebel kommt. Dass er immer da war, aber jetzt… jetzt will er mehr. Und dann haben sie gesagt, dass ich…“ Sie hielt inne, ihre Stimme stockte, als wäre sie unsicher, ob sie weitersprechen sollte. Clara legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Was haben sie gesagt, Mira?“ fragte sie erneut, noch sanfter. Mira sah sie an, und in ihren Augen lag eine Mischung aus Angst und Entschlossenheit. „Dass ich die Verbindung bin. Dass sie durch mich sehen. Dass sie mich finden wollen.“ Clara spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. „Wer sind „sie“?“ Mira schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Aber… ich glaube, sie sind wie der Nebel. Oder sie kommen aus ihm. Und sie… sie suchen mich, weil ich… weil ich sie spüren kann.“ Finn sah Clara an, und in seinem Blick lag dieselbe Sorge, die sie fühlte. „Mira, hast du schon einmal so etwas geträumt?“ fragte er vorsichtig. Mira nickte langsam. „Ja. Aber diesmal war es anders. Es war stärker. Als ob… als ob sie näher wären.“ Clara zog Mira näher zu sich und legte einen Arm um ihre Schultern. „Es war nur ein Traum,“ sagte sie leise, doch ihre Worte klangen hohl, selbst in ihren eigenen Ohren. „Wir sind hier, und wir werden dich beschützen.“

Mira lehnte sich an Clara, doch ihr Blick blieb wachsam, fast erwachsen, während sie in die Dunkelheit starrte, die jenseits des Feuers lag. Irgendwo in ihrem Inneren wusste sie, dass die Worte nur zur Hälfte wahr waren. Denn es war kein Traum – nicht wirklich. Und das, was sich näherte, würde nicht einfach verschwinden. Die Dunkelheit schien Mira zu umarmen, während sie an Claras Seite verharrte. Doch ihre Gedanken trugen sie weit weg von der Wärme des Feuers und den schützenden Schatten der Gruppe. Sie konnte die Sterne aus ihrem Traum fast spüren – ein schwaches Pulsieren in der Ferne, das durch ihren Körper vibrierte. „Es war nicht nur ein Traum…“ flüsterte sie schließlich, ohne Clara anzusehen. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch, doch es schien, als trüge die Stille des Waldes ihre Worte bis zu den anderen. Finn richtete sich leicht auf, sein Blick ruhte aufmerksam auf Mira. „Was war es dann?“ fragte Clara vorsichtig. Sie wollte Mira nicht drängen, doch die Intensität in ihrer Stimme war unüberhörbar. Mira schloss die Augen und ließ ihren Kopf gegen Claras Schulter sinken. „Es war… wie ein Ort, aber nicht wirklich. Ich konnte ihn fühlen, aber nicht sehen. Da war dieses Licht, das mir den Weg gezeigt hat. Es hat mich zu etwas gebracht, das wie ein Spiegel aussah, aber es war kein Spiegel. Es hat… Dinge gezeigt. Dinge, die ich nicht verstehe.“ Finn beugte sich näher, seine Stirn gerunzelt. „Was für Dinge?“ Mira zögerte, ihre Finger spielten nervös mit der Kante von Claras Mantel. „Menschen,“ flüsterte sie. „Ich habe Menschen gesehen, die ich nicht kenne. Aber sie waren wichtig. Und dann war da… Dunkelheit. Nicht wie die Nacht, sondern etwas Größeres. Etwas, das lebt und alles verschlingt.“ Clara tauschte einen schnellen Blick mit Finn, bevor sie sanft fragte: „Hast du noch etwas gesehen, Mira? Etwas, das uns helfen könnte?“ Mira öffnete die Augen, und in ihrem Blick lag eine Klarheit, die Clara frösteln ließ. „Da war ein Wort. Es hat geleuchtet, wie die Sterne. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber ich kann es nicht vergessen.“ Finn lehnte sich vor. „Welches Wort?“ Mira atmete tief ein, bevor sie antwortete. „Nexus.“ Das Wort schien in der Luft zu hängen, schwer und voller Bedeutung. Clara fühlte, wie ihr Puls schneller wurde, und selbst Finn, der sonst so ruhig wirkte, schien erschüttert. „Der Nexus…“ murmelte Clara und erinnerte sich an die Erwähnungen in Ruriks Notizen und den Geschichten, die sie unterwegs gehört hatten. „Das ist kein Zufall. Alles führt dorthin.“

Elara hob plötzlich den Kopf, das Wort schien sie wie ein Schlag zu treffen. „Mira, bist du sicher, dass das das Wort war?“ Ihre Stimme war angespannt, fast atemlos. Es schien, als ob das Wort in ihren Gedanken einen Sturm entfesselte. „Ich… ich habe davon gehört. Aber nicht in einem guten Zusammenhang.“ Mira sah zwischen ihnen hin und her, als wollte sie sicherstellen, dass sie sie verstanden hatten. „Es hat mich gerufen. Ich weiß nicht, warum, aber es wollte, dass ich es sehe. Und es wollte, dass ich es euch sage.“ Clara legte eine Hand an ihre Stirn, während sie versuchte, die Informationen zu sortieren. „Wir müssen mit Rurik reden. Er weiß vielleicht mehr über den Nexus. Vielleicht kann er das deuten.“ Mira sah erneut in die Dunkelheit, ihre Augen wachsam. „Es wird nicht warten,“ sagte sie schließlich. „Es ist schon unterwegs.“ Finn legte eine Hand auf ihre kleine Schulter. „Wir sind auch unterwegs, Mira. Und wir lassen es nicht zu, dass es dich erreicht.“ Die Gruppe blieb für einen Moment still, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft. Doch in der kühlen Nachtluft lag ein Versprechen – ein unausgesprochenes Band, das sie alle miteinander verband. Und auch wenn die Dunkelheit näher kam, so fühlte es sich zumindest in diesem Moment an, als könnten sie ihr gemeinsam die Stirn bieten. Elara konnte das Gewicht von Miras Worten kaum ignorieren. Nexus. Das Wort hallte in ihrem Kopf wider, als hätte es eine verborgene Seite in ihr berührt. Erinnerungen drängten sich ihr auf, an den Moment, als sie die Kugel auf dem Altar berührt hatte, als die Lichtgestalt vor ihr erschienen war. Damals hatte sie vom Nexus gesprochen – von der Wahl, die Elara treffen musste, und den Konsequenzen, die daraus entstehen würden. Sie hatte die Barriere erneuert, doch die Worte der Lichtgestalt ließen sie nicht los: „Die Energie des Nexus ist nicht zerstört. Sie ist gebunden, doch sie wird immer einen Weg suchen.“ Dieses Wort, dieser Ort – es war nicht nur eine Erinnerung, sondern eine Mahnung. Der Nexus war mehr als nur ein abstraktes Konzept aus Ruriks Notizen oder eine Vision. Es war real. Es war der Kern von allem. Ihr Blick wanderte zu Mira, die dicht an Clara lehnte, immer noch so verletzlich und doch so wichtig. Elara fühlte eine Welle des Mitgefühls für das Mädchen, aber auch einen Hauch von Unsicherheit. Wieso war Mira diejenige, die diese Visionen hatte? Und was sollte das für ihre Gruppe bedeuten? Elara schüttelte leicht den Kopf und zwang sich, die Gedanken beiseitezuschieben. Es gab gerade wichtigere Dinge zu bedenken. Unwillkürlich glitten ihre Augen zu Kael, der etwas abseits stand, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Gesicht war ruhig, fast ausdruckslos, doch seine Augen verrieten, dass er nachdachte. Tief. Der Schatten der Flammen spiegelte sich in seinem Blick, als ob er in sich selbst eine Antwort suchte. Es war selten, dass er so offen nachdenklich wirkte, und Elara konnte nicht umhin, sich zu fragen, was ihm durch den Kopf ging. „Kael,“ begann sie schließlich, ihre Stimme leise, aber mit einer gewissen Schärfe, die sie nicht ganz unterdrücken konnte. „Du kennst dieses Wort, nicht wahr? Nexus. Es bedeutet dir etwas.“ Kael hob langsam den Blick zu ihr. Für einen Moment schien er ihre Frage abwägen zu wollen, bevor er antwortete. „Vielleicht,“ sagte er schließlich, seine Stimme ruhig und doch schwer zu deuten. „Aber was es bedeutet, das ist etwas, das wir erst herausfinden müssen.“ Elara biss die Zähne zusammen. Immer wieder wich er ihren Fragen aus, ließ nur Fragmente von Antworten zurück. Doch diesmal war es anders. Sein Blick war intensiver, seine Zurückhaltung schien nicht aus Arroganz zu kommen, sondern aus einer Art Schutz. Schutz wovor? Vor ihnen? Vor sich selbst? Sie sah, wie seine Augen kurz zu Mira wanderten, dann zu Clara und Finn, die ebenfalls aufmerksam lauschten.

Kael schien alles abzuwägen, jedes Wort, jede Reaktion. „Wir sollten uns vorbereiten,“ sagte er schließlich und brach damit die Spannung. „Wenn der Nexus wichtig ist, werden wir bald mehr erfahren. Aber nicht jetzt.“ Elara verspürte den Drang, weiterzufragen, ihn zu drängen, doch sie hielt inne. Vielleicht war es besser, ihn beobachten zu lassen, zu warten, bis er bereit war. Doch eines war klar: Kael wusste mehr, als er zugab, und das machte ihn sowohl faszinierend als auch schwer greifbar. Ein Teil von ihr wollte ihn verstehen – nicht nur wegen ihrer Mission, sondern auch, weil er sie auf eine Weise an sich zog, die sie nicht erklären konnte. Das Knistern des Feuers war das einzige Geräusch, das die Stille unterbrach. Elara ließ ihren Blick wieder zur Gruppe gleiten, ihre Gedanken weiterhin bei Kael und dem, was sie alle verband. Der Nexus war mehr als nur ein Wort. Es war der Schlüssel – zu was, das musste sie noch herausfinden.

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