Elara Schatten im Nebel Kapitel 14

Verborgene Wahrheiten

Das Feuer war auf ein sanftes Glimmen heruntergebrannt. Die Stille wurde nur von gelegentlichem Rascheln des Waldes durchbrochen, doch die Atmosphäre innerhalb der Gruppe fühlte sich schwer und bedrückend an. Jeder schien in seinen eigenen Gedanken gefangen zu sein, die Müdigkeit und die Anspannung der Reise lasteten auf ihnen.

Elara sah zu Kael, der abseits saß, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Sie konnte die Anspannung in seinen Schultern erkennen, und ihre eigene Ungeduld begann, sie zu überwältigen. Seit sie seine Reaktion auf den Nexus mitbekam, war sie überzeugt, dass Kael mehr wusste, als er preisgab. Doch es war nicht nur diese Reaktion, die sie beschäftigte. Es waren die vielen Male, in denen er mit ausweichenden Antworten und vagen Andeutungen ihrer Neugier ausgewichen war. Jede nicht beantwortete Frage, jedes rätselhafte Schweigen hatte in ihr eine wachsende Frustration entfacht, die jetzt kurz davor stand, überzukochen. „Kael,“ begann sie, ihre Stimme schnitt durch die Stille wie ein scharfes Messer. „Ich habe genug von deinen Ausflüchten. Wenn du etwas weißt, dann sag es uns. Wir alle haben ein Recht darauf, die Wahrheit zu kennen.“ Die anderen sahen auf, ihre Aufmerksamkeit plötzlich geweckt. Finn blickte zwischen Elara und Kael hin und her, während Clara sich leicht an Mira heranzog, als wolle sie das Mädchen vor einer möglichen Eskalation schützen. Kael hob langsam den Kopf, sein Blick traf den von Elara, kühl und abwägend. „Was genau willst du wissen?“ fragte er mit einer Stimme, die mehr Frustration als Entgegenkommen verriet. „Alles,“ sagte Elara mit Nachdruck. „Was du über den Nexus weißt. Warum du überhaupt hier bist. Warum wir dir vertrauen sollten, wenn du uns nichts von dir erzählst.“ „Elara,“ begann Rurik mit einem warnenden Unterton, doch sie hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ihre Augen blieben auf Kael gerichtet. Kael ließ sich Zeit mit seiner Antwort, was die Spannung nur weiter erhöhte. Schließlich sprach er, seine Stimme ruhig, aber mit einer Kälte, die die Luft zwischen ihnen zu zerschneiden schien. „Ihr wollt die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass ihr mich genauso wenig kennt, wie ich euch kenne. Aber ich bin hier, weil ich es sein muss. Weil ich glaube, dass es ohne mich nicht geht. Reicht dir das?“ „Nein, das reicht mir nicht,“ sagte Elara, ihre Stimme schärfer als beabsichtigt. „Wir riskieren unser Leben. Wir folgen dir, obwohl wir nicht wissen, wohin. Das Mindeste, was du tun könntest, ist ehrlich zu uns zu sein.“ Kaels Augen verengten sich, und für einen Moment schien es, als würde er etwas erwidern, doch er hielt inne. Stattdessen wandte er den Blick ab und starrte in die Dunkelheit. „Die Wahrheit ist oft gefährlicher, als ihr glaubt,“ murmelte er schließlich. Finn räusperte sich leise, offensichtlich bemüht, die Situation zu entschärfen. Er fühlte das wachsende Gewicht der Spannungen zwischen Elara und Kael und wusste, dass diese Dynamik gefährlich werden konnte. Aus seiner Erfahrung heraus hatte er gelernt, wie leicht solche Konflikte eine Gruppe spalten konnten. Worte konnten eine Eskalation verhindern, und er hatte sich schon oft in der Rolle des Vermittlers wiedergefunden. Es lag ihm nicht, Streit aufkochen zu lassen – nicht, nachdem er gesehen hatte, wie zerstörerisch das sein konnte. „Vielleicht sollten wir das später besprechen, wenn wir alle klarer denken können. Es war ein langer Tag.“ „Später?“ Elara drehte sich zu Finn um, ihre Augen funkelten vor Frustration. „Wie oft wollen wir noch „später“ sagen? Irgendwann müssen wir handeln.“ „Elara,“ mischte sich Rurik nun ein, seine Stimme ruhig, aber fest. „Ich verstehe deine Ungeduld. Aber wir alle haben Geheimnisse. Und manchmal gibt es einen Grund, warum man sie bewahrt.“

Ein schweres Schweigen legte sich über die Gruppe. Elara ballte die Hände zu Fäusten, doch sie wusste, dass sie nicht weiterkäme, nicht heute. Sie stand auf und wandte sich vom Feuer ab, um in die Dunkelheit zu starren. Ihre Gedanken rasten, gefangen zwischen Frustration und der beunruhigenden Erkenntnis, dass sie Kael tatsächlich nicht kannte. Kael blieb an seinem Platz, sein Blick folgte ihr kurz, bevor er wieder in die Schatten des Waldes glitt. Die Dunkelheit wirkte beruhigend, fast schützend, während seine Gedanken rastlos blieben. Er wusste, dass Elaras Hartnäckigkeit berechtigt war – und doch wuchs in ihm ein Unbehagen. Sie sah mehr, als ihm lieb war, drang in Bereiche vor, die er selbst lange nicht betreten hatte. Sein Blick glitt über die Schatten, als suche er dort Antworten, die ihm längst entglitten waren. Ihre Entschlossenheit faszinierte ihn, doch sie ließ ihn auch zweifeln. Es war eine Stärke, die leicht zu ihrem Untergang werden konnte – und zu seinem. Auch er schien mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen. Clara brach schließlich die Stille. „Vielleicht… sollten wir uns alle ein bisschen Ruhe gönnen. Wir brauchen einen klaren Kopf, um zu verstehen, was vor uns liegt.“ Die Gruppe blieb in nachdenklichem Schweigen, das Feuer war inzwischen kaum mehr als ein schwacher Gluthauch. Und obwohl sie äußerlich beieinander waren, schien jeder von ihnen in diesem Moment seltsam allein. Elara presste die Lippen zusammen, während sie die Dunkelheit anstarrte. Ihre Frustration brodelte noch immer in ihr, doch nun mischte sich ein Anflug von Scham darunter. War sie zu weit gegangen? Sie hatte das Gefühl, dass sie im Recht war, dass Kaels Geheimniskrämerei die Gruppe gefährdete. Aber der Gedanke daran, wie die anderen sie angesehen hatten – Clara’s vorsichtiger Blick, Finn’s beschwichtigender Ton – ließ sie zweifeln. Jeder in der Gruppe hatte sein Leben in die Hände des anderen gelegt – und Elara fühlte das Gewicht dieser Verantwortung schwerer denn je. Kaels Schweigen fühlte sich an wie ein Verrat, auch wenn sie wusste, dass sie keine Antworten erzwingen konnte. „Ich musste das sagen,“ dachte sie, fast so, als wolle sie sich selbst davon überzeugen. „Es geht um mehr als nur uns. Es geht um das, was auf dem Spiel steht.“ Doch trotz dieser Überzeugung spürte sie, wie ihre Wangen heiß wurden, als sie an Kaels ausweichenden Blick dachte. Es war nicht nur Frustration, die sie dazu getrieben hatte.

Irgendetwas an ihm brachte sie aus dem Gleichgewicht, etwas, das sie nicht erklären konnte. Die Nacht war still, nur gelegentlich unterbrochen vom Rascheln der Bäume und den leisen Geräuschen der Gruppe. Die Gespräche, die zuvor durch Elaras Konfrontation angestoßen worden waren, begannen sich in leiseren, aber ebenso bedeutsamen Worten fortzusetzen. Clara saß neben Finn, die beiden hatten sich etwas abseits von der Gruppe gesetzt. Miras sanftes Schnarchen unter ihrem Mantel ließ die Nacht ein wenig friedlicher erscheinen, doch Claras Blick blieb wachsam. Sie senkte ihre Stimme, sodass nur Finn sie hören konnte. „Kael ist ein Rätsel, findest du nicht?“ Finn nickte nachdenklich. „Er ist definitiv nicht der offenste Typ. Aber… ich denke, er glaubt wirklich, dass er das Richtige tut. Er wirkt, als würde er ständig gegen etwas Unsichtbares ankämpfen.“ Clara runzelte die Stirn. „Gegen was, glaubst du? Sich selbst? Oder etwas anderes?“ Finn lehnte sich zurück und sah in die Dunkelheit. „Vielleicht beides. Es gibt Menschen, die Geheimnisse wahren, weil sie denken, sie würden andere schützen. Aber manchmal… verstecken sie sich auch vor sich selbst.“ Clara warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu, ihre Gedanken rasten. Doch Finns Gesicht blieb undurchschaubar, wie ein Buch, dessen Seiten sie nicht aufschlagen konnte. War es Unwissenheit, oder wusste er tatsächlich mehr, als er sagte? Meinte er das nur allgemein? Oder wusste er mehr über das, was damals im Krankenhaus passiert war, als sie angenommen hatte? Für einen kurzen Moment fragte sie sich, ob er sie testen wollte, doch seine Miene blieb unergründlich.

Clara ließ diese Worte einen Moment lang sacken. Sie erinnerte sich an Kaels Reaktion auf die Erwähnung des Nexus, wie seine kühle Fassade einen Moment lang ins Wanken geraten war. „Ich vertraue ihm nicht vollständig,“ sagte sie schließlich. „Aber ich denke, er ist nicht unser Feind. Nicht direkt.“ „Das sehe ich genauso,“ stimmte Finn zu. „Die Frage ist nur, wie weit wir ihm folgen können, ohne zu wissen, wohin.“ Nicht weit von ihnen saß Rurik, der ihre Unterhaltung halb hörte, während er eine Karte entrollte. Seine Finger glitten über die Linien, die vertrauten Pfade und unbekannten Wege, doch sein Gesicht zeigte die stille Frustration eines Mannes, der zu viele ungewisse Entscheidungen treffen musste. Schließlich sprach er, ohne den Blick zu heben: „Wir haben keine Zeit für Misstrauen. Ob wir ihm vertrauen oder nicht, spielt keine Rolle, solange wir zusammenbleiben. Der Nebel wird nicht auf uns warten, während wir unsere Differenzen klären.“ Clara sah zu Rurik, ihre Augen schmal, doch sie wusste, dass er recht hatte. „Das heißt aber nicht, dass wir blind sein sollten. Vorsicht hat uns bis hierhergebracht.“ Rurik hob den Kopf und fixierte sie mit einem durchdringenden Blick, sein Tonfall trug die Last vieler Jahre, in denen er solche Situationen schon zu oft erlebt hatte. „Vorsicht, ja. Aber Vorsicht darf nicht in Stillstand umschlagen. Manchmal muss man handeln, auch wenn die Antworten unklar sind.“ Finn seufzte und rieb sich die Hände. „Vielleicht haben wir einfach keine andere Wahl, als darauf zu vertrauen, dass die Wahrheit irgendwann ans Licht kommt.“ Clara sah wieder zu Kael, der schweigend abseits saß, sein Gesicht im Halbdunkel verborgen. „Ich hoffe, dass sie es tut,“ murmelte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Die Risse in der Gruppe waren klein, aber sie waren da, wie feine Linien in Glas – unscheinbar, doch jeder weitere Druck könnte sie zum Zerbrechen bringen. Clara wusste, dass diese Zerbrechlichkeit ihre größte Gefahr war.

Die Kühle der Nacht hatte sich wie ein stiller Schleier über die Welt gelegt, und Kael spürte die Dunkelheit um sich, als wäre sie eine vertraute Präsenz. Die Gruppe hatte sich verstreut, jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, doch Kael fühlte sich isolierter denn je. Ohne ein Wort erhob er sich von seinem Platz und entfernte sich lautlos, seine Schritte federleicht auf dem feuchten Boden. Der Wald um ihn herum schien ihn zu umarmen, doch es war keine beruhigende Geste. Die Schatten der Bäume wirkten wie stumme Zeugen, die ihn beobachteten, ihn beurteilten. Der Nebel hatte nicht nur seine Welt verschlungen; er schien in seinem Inneren zu hausen, ein Schatten, der niemals wich. Kael zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und blieb schließlich an einer kleinen Lichtung stehen, wo der Mondschein zwischen den Ästen hindurch fiel. Sein Blick glitt in die Ferne, doch die Bilder in seinem Kopf waren nah und unausweichlich. Er erinnerte sich an die Stimmen aus seiner Kindheit, die Schreie, das plötzliche Schweigen, als der Nebel kam. Es war immer der Nebel gewesen, der all das ausgelöscht hatte, was er einst gekannt und geliebt hatte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, als er gegen die Flut der Erinnerungen ankämpfte. Kael dachte an die Gruppe. Jeder von ihnen war ein Puzzleteil in einem Spiel, dessen Regeln niemand verstand. Elara mit ihrer Entschlossenheit und den durchdringenden Augen, die ihn so oft an den Rand des Unbehagens brachten. Sie durchbrach die Mauern, die er so sorgfältig um sich gebaut hatte, und das machte sie gefährlicher als jede Kreatur des Nebels. Clara, mit ihrem Schutzinstinkt für Mira, und Finn, der Friedensstifter, dessen Blick oft mehr verriet, als er sagte. Rurik, der Pragmatiker, der alles unter der Oberfläche zu analysieren schien. Doch es war Elara, die ihn am meisten beschäftigte. Sie stellte die Fragen, die niemand sonst zu stellen wagte, und ihre Beharrlichkeit war gleichermaßen beeindruckend wie gefährlich. Kael wusste, dass sie ihn durchschauen wollte, dass sie Antworten suchte, die er nicht geben konnte. Nicht jetzt. Vielleicht nie. Er seufzte und richtete seinen Blick auf den Mond, dessen Licht wie ein ferner Hoffnungsschimmer wirkte. Die Prophezeiung, die Schatten, der Nexus – alles schien miteinander verwoben, ein Netz, das sie alle gefangen hielt. Er hatte es schon einmal zugelassen, dass andere wegen seiner Entscheidungen litten. Dieses Mal würde er es nicht so weit kommen lassen. Kael wusste, dass er ein Teil dieses Netzes war, doch welchen Zweck er darin erfüllen sollte, blieb ihm selbst ein Rätsel.

Ein leises Geräusch ließ ihn aufhorchen. Sein Kopf schnellte zur Seite, seine Hand glitt instinktiv zu seiner Waffe. Sein Herz schlug schneller, seine Muskeln spannten sich, bereit, sich jeder Gefahr zu stellen. Er wusste, dass der Nebel seine Anwesenheit nie vergessen ließ. Doch es war nichts Bedrohliches – nur der Wind, der einen Ast bewegen ließ. Dennoch blieb Kael angespannt, denn er wusste, dass die wahre Gefahr nie offensichtlich war. Schließlich wandte er sich um und ging zurück zur Gruppe. Seine Schritte waren ruhig, doch in seinem Inneren tobte ein Sturm. Als er an seinen Platz zurückkehrte, fühlte er die Blicke der anderen auf sich. Besonders Elaras. Ihr Blick war wie eine Klinge, die mit jedem Moment tiefer schnitt. Doch Kael wusste, dass er nicht weichen durfte. Nicht vor ihr. Er hielt stand, ließ seinen eigenen Blick kühl und undurchdringlich bleiben. Die Nacht legte sich wieder über die Gruppe, doch Kael wusste, dass der Tag, der folgen würde, mehr Fragen bringen würde, als er bereit war, zu beantworten. Die Nacht war bereits weit fortgeschritten, und die Dunkelheit schien undurchdringlich. Die Gruppe saß verstreut um die verblassende Glut des Feuers, jedes Mitglied tief in Gedanken versunken. Doch die trügerische Ruhe wurde plötzlich durch ein seltsames Geräusch durchbrochen – ein tiefes, grollendes Brummen, das aus der Ferne zu kommen schien. Elara war die Erste, die reagierte. Ihre Hand wanderte instinktiv zu ihrem Dolch, während sie sich aufrichtete und in die Dunkelheit starrte. „Habt ihr das gehört?“ Ihre Stimme war ruhig, aber angespannt. Rurik stand ebenfalls auf, die Stirn in Falten gelegt. „Das klingt nicht wie der Wind.“ Er griff nach einer schweren Metallstange, die er immer bei sich trug, und spähte in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Kael, der bisher schweigend am Rand der Gruppe gesessen hatte, richtete sich auf und zog seine Kapuze zurück. Sein Blick war scharf, seine Augen suchten den Wald ab. „Es kommt näher,“ murmelte er, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Clara zog Mira enger an sich, während Finn seine Axt in die Hand nahm und sich schützend vor sie stellte. „Was auch immer es ist,“ sagte er mit leiser Entschlossenheit, „wir stehen das zusammen durch.“ Die Gruppe formierte sich instinktiv, jeder nahm eine Position ein, die sowohl Schutz als auch Verteidigung bot. Das Brummen wurde lauter, ein vibrierender Klang, der den Boden unter ihren Füßen zum Zittern brachte. Dann, aus den Schatten des Waldes, tauchte eine schemenhafte Gestalt auf. Die Kreatur war groß, fast doppelt so hoch wie ein Mensch, und ihre Umrisse schienen im Nebel zu flimmern. Ihre Bewegungen waren, als würde sie von unsichtbaren Fäden gezogen, ruckartig und doch mit einer furchterregenden Präzision. Zwei leuchtende Augenpaare fixierten die Gruppe, und ein tiefes Knurren entkam ihrer Kehle. Elara spürte, wie ihr Herz schneller schlug, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Zusammenhalten!“ rief sie, ihre Stimme fest. „Lasst sie uns nicht auseinanderbringen.“ Kael trat einen Schritt nach vorne und zog ein Schwert unter seinem Mantel hervor. Die Klinge schimmerte matt im schwachen Licht, als ob sie lange unbenutzt geblieben war. Elara warf ihm einen verwunderten Blick zu. Wo genau hatte er das Schwert jetzt bitte schön her? Doch sie hatte keine Zeit, die Frage zu stellen. „Ablenken,“ sagte er knapp, ohne sich umzusehen. „Wenn wir sie aus der Fassung bringen, können wir angreifen.“ Rurik nickte knapp und bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung. Mit einem gezielten Wurf schleuderte er einen schweren Stein auf die Kreatur. Der Aufprall ließ sie kurz innehalten, und das tiefe Knurren wurde lauter, fast wütend. In diesem Moment nutzte Finn die Ablenkung, stürmte nach vorne und schlug mit seiner Axt zu. Der Treffer war präzise, doch die Kreatur schien unbeeindruckt. Ihre leuchtenden Augen flackerten für einen Moment, und ein tiefes, zischendes Geräusch entkam ihrer Kehle, als hätte der Schlag etwas in ihrem Inneren berührt. Doch dann fuhren ihre Klauen durch die Luft, und Finn musste sich blitzschnell zurückziehen, um nicht getroffen zu werden. Mira, die bisher stumm geblieben war, schrie plötzlich auf. Ihre Augen waren weit geöffnet, und sie zeigte auf die Kreatur. „Da! Die Brust! Es ist ein Licht dort, wie bei den Runen!“ Ihre Stimme zitterte, doch in ihren Worten lag eine seltsame Sicherheit, als ob sie die Wahrheit in den Mustern des Lichts erkannte. Elara folgte ihrem Blick und sah es: Ein schwaches, pulsierendes Licht schimmerte in der Brust der Kreatur, kaum sichtbar durch den Nebel, der sie umgab. „Das ist ihr Schwachpunkt!“ rief sie. „Zielt darauf!“ Die Gruppe setzte ihre Angriffe fort, diesmal mit einem klaren Ziel. Clara, die Mira beschützt hatte, ließ sie kurz los, um einen Stein aufzuheben und ihn mit aller Kraft zu werfen. Der Treffer war präzise, und das Licht flackerte kurz, bevor es wieder stabil wurde. Kael nutzte die Gelegenheit. Mit einem schnellen Sprung stieß er sein Schwert direkt in die Brust der Kreatur. Ein markerschütternder Schrei erklang, und das Licht in ihrer Brust flackerte erneut, bevor es erlosch. Die Kreatur sackte in sich zusammen, ihre Umrisse lösten sich im Nebel auf, bis nichts mehr übrig war.

Die Gruppe stand still, die Stille nach dem Kampf war fast ohrenbetäubend. Jeder von ihnen atmete schwer, und ein flüchtiger Moment des Verständnisses zog durch die Reihen. Ihre Blicke wanderten zwischen den Überresten der Kreatur und einander hin und her, jeder suchte nach Antworten, die niemand hatte. Rurik war der Erste, der sprach. „Das war keine normale Kreatur. Das war… etwas anderes.“ Elara nickte, ihre Gedanken rasten. „Etwas aus dem Nebel. Aber warum jetzt? Und warum hier?“ Mira sah sie mit großen Augen an. „Vielleicht wollten sie uns testen. Oder warnen.“ Keiner hatte darauf eine Antwort. Doch eines war klar: Der Nebel war nicht mehr nur eine Bedrohung aus der Ferne. Er war hier, und er würde nicht verschwinden, bis sie herausgefunden hatten, wie sie ihm entgegentreten konnten. Die Gruppe saß nach dem Kampf wieder zusammen, die Erschöpfung zeichnete sich auf jedem ihrer Gesichter ab. Das Feuer, das sie neu entfacht hatten, flackerte und warf Schatten auf die angespannten Züge der Anwesenden. Die Stille war schwer, durchbrochen nur vom gelegentlichen Knistern der Flammen. Elara brach schließlich das Schweigen. „Das war knapp. Wenn Mira das Licht nicht gesehen hätte, hätten wir es vielleicht nicht geschafft.“ Ihr Blick wanderte zu dem Mädchen, das neben Clara saß. Mira sah müde aus, aber in ihren Augen schimmerte etwas wie Stolz. „Wie hast du das erkannt?“ Mira zögerte, ihre Hände spielten mit einem losen Faden an ihrem Mantel. Ihre Finger zeichneten kleine Muster in den Boden, unbewusst ähnliche Formen wie die Runen, die sie zuvor gesehen hatte. „Ich… ich weiß es nicht genau. Es war einfach da, wie ein Gefühl. Die Runen, die wir gesehen haben, sie… sie fühlen sich ähnlich an.“ „Ein Gefühl?“ Rurik runzelte die Stirn. Seine Stimme klang skeptisch, aber nicht abwertend. „Vielleicht hast du eine Verbindung zu diesen Dingen, die wir nicht verstehen. Das ist etwas, das wir nutzen können.“ Clara legte beschützend eine Hand auf Miras Schulter und zog sie sanft näher zu sich. „Was auch immer es war, es hat uns geholfen. Aber wir können nicht riskieren, dass du dich übernimmst.“ Ihr Blick wurde ernst, und sie sah zu den anderen. „Wir brauchen einen Plan.“ „Richtig,“ stimmte Finn zu, der seine Axt neben sich auf den Boden gelegt hatte. „Wir müssen besser vorbereitet sein. Das hier war nur eine Kreatur. Was, wenn es mehr werden? Oder stärkere?“ Kael saß abseits, sein Blick auf das Schwert in seinen Händen gerichtet. Das Licht des Feuers reflektierte sich auf der Klinge, als er leise sprach: „Sie werden mehr werden. Und sie werden stärker sein.“ Seine Stimme war ruhig, fast kalt, doch die Worte ließen die Luft schwerer werden. „Und was schlagen wir vor?“ fragte Elara und richtete ihren Blick auf Rurik. Der ältere Mann nickte langsam, sein Gesicht zeigte tiefe Furchen des Nachdenkens. „Wir müssen wissen, womit wir es zu tun haben. Mehr Wissen bedeutet mehr Chancen, zu überleben. Vielleicht sollten wir anfangen, systematisch vorzugehen – wer beobachtet, wer verteidigt, wer führt.“ Er sah zu Kael. „Du scheinst mehr zu wissen. Vielleicht kannst du uns sagen, worauf wir achten sollten.“ Kael hob den Blick, seine Augen trafen Ruriks, aber er sagte nichts. Stattdessen steckte er das Schwert zurück unter seinen Mantel und stand auf. Für einen Moment wirkte er, als wolle er etwas sagen, doch die Worte blieben ungesprochen. „Wenn ich etwas finde, das uns hilft, werde ich es sagen. Aber ich rate euch: Rechnet mit allem.“

Die Worte hinterließen eine gespannte Stille, die Elara schließlich durchbrach. „Wir sollten auch überlegen, wie wir unsere Stärken besser nutzen können. Mira hat etwas Besonderes, und ich denke, sie könnte uns leiten, wenn es um diese Dinge geht. Clara und Finn – ihr arbeitet gut zusammen, und das sollten wir nutzen. Kael…“ Sie zögerte, ihre Augen suchten seinen Blick, doch er war bereits wieder abgewandt. „… wir brauchen dich. Ob du es willst oder nicht.“ Clara nickte zustimmend. „Und du, Elara. Du bist eine geborene Anführerin. Du hast uns durch so viel schon geführt.“ Elara schüttelte den Kopf, doch sie sagte nichts. Stattdessen sah sie in die Flammen, ihre Gedanken ein chaotisches Durcheinander. Anführerin? Sie hatte nie vorgehabt, eine zu sein. Diese Rolle hätte sie eher Rurik zugetraut, einem Mann mit Erfahrung und Pragmatismus. Doch die Gruppe hatte offenbar andere Erwartungen an sie. Sie fühlte sich überwältigt, als würde das Gewicht ihrer Verantwortung auf ihre Schultern drücken. Warum sie? Warum jetzt? Der Gedanke, dass sie die Einzige sein könnte, die diese Gruppe aus dem Albtraum führen konnte, war gleichermaßen erschreckend wie verpflichtend. Und doch nagte ein Zweifel an ihr – war sie wirklich stark genug, diese Bürde zu tragen? Die Nacht blieb still, doch die Spannungen waren spürbar. Jeder von ihnen wusste, dass der Kampf, den sie gerade bestanden hatten, nur ein Vorgeschmack war. Die wirklichen Herausforderungen lagen noch vor ihnen – und keiner konnte sagen, ob sie bereit dafür waren. Schließlich entschied die Gruppe, dass sie sich ausruhen mussten. Sie einigten sich darauf, abwechselnd Wache zu halten, während die anderen schliefen. Die Wache war notwendig, doch keiner fühlte sich sicher, selbst in den Momenten, in denen sie die Augen schlossen. Jeder Schatten schien sich zu bewegen, jeder Laut schien ein Vorbote dessen zu sein, was noch kommen würde. Einer nach dem anderen schloss die Augen, doch die Gedanken an die Kreatur und das, was noch kommen mochte, ließen den Schlaf schwer und unruhig werden.

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