Elara Schatten im Nebel Kapitel 15

Begegnungen im Nebel

Die Luft war schwer und feucht, der Nebel dichter als je zuvor. Es war, als hätte er eine eigene Substanz, die sich um ihre Körper legte und jeden Schritt mühsamer machte. Die Gruppe bewegte sich schweigend durch das Labyrinth aus knorrigen Bäumen und überwucherten Pfaden, die kaum mehr als eine vage Richtung vorgaben. Sie hatten erst vor kurzem ihre Rast beendet, um neue Kraft zu schöpfen. Doch die Erholung war flüchtig gewesen, und die wachsende Dunkelheit, die der Nebel mit sich brachte, ließ die Anspannung in der Gruppe kaum weichen.

Elara spürte, wie die Unsicherheit unter der Oberfläche brodelte. Jeder Schritt, den sie machten, brachte eine neue Welle von Unbehagen mit sich. Der Nebel war nicht nur eine Kulisse; er war eine Präsenz, die sie beobachtete. Sie zog ihren Mantel enger um sich, ihre Hand hielt den Dolch fest, als ob allein dessen Griff ihr Mut zusprechen könnte. Ein entferntes Geräusch durchbrach die Stille – ein tiefes, grollendes Brummen, das aus keiner bestimmten Richtung zu kommen schien. Die Gruppe blieb wie auf ein stummes Kommando hin stehen, ihre Augen suchten die weiße Leere um sie herum ab. „Was war das?“ flüsterte Clara und zog Mira näher an sich. Das Mädchen, das sonst oft eine eigenartige Ruhe ausstrahlte, klammerte sich nun an Claras Seite und schien noch kleiner als sonst. „Es klang nah,“ murmelte Rurik, sein Blick konzentriert. „Aber nicht so nah, dass wir uns sorgen müssten. Noch nicht.“ Kael, der etwas abseits stand, starrte tiefer in den Nebel, als könnte er etwas sehen, was den anderen verborgen blieb. Sein Griff um das Schwert, das er inzwischen offen trug, war fest. „Wir sollten weitergehen,“ sagte er knapp. „Je länger wir hier verweilen, desto gefährlicher wird es.“ „Und wohin genau sollen wir gehen?“ fragte Finn, der seine Axt bereit hielt. „Es ist, als würde dieser Nebel sich bewegen, uns lenken.“ „Vielleicht tut er das,“ warf Mira leise ein, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. Die Gruppe sah sie an, doch sie senkte nur den Blick, als wolle sie ihre eigenen Worte nicht erklären. Es war ein Moment, der Elara innehalten ließ. Was meinte Mira wirklich? Wusste sie mehr, als sie zeigte? „Lasst uns keine Zeit verschwenden,“ sagte Rurik schließlich. „Ob der Nebel uns führt oder nicht, wir müssen uns bewegen.“

Die Gruppe setzte sich langsam in Bewegung. Die Geräusche des Waldes veränderten sich; sie wurden dumpfer, fremdartiger, als ob der Nebel selbst die Schallwellen verschluckte. Elara spürte, wie die Haare in ihrem Nacken sich aufstellten. Es war, als würde sie beobachtet – nicht nur von den Schatten des Waldes, sondern von etwas, das im Nebel selbst lauerte. Ihre Gedanken rasten. Der Nebel hatte sich schon oft als tödlicher Feind gezeigt, doch diese Beklemmung war anders. Es war keine plötzliche Bedrohung, die sie erahnte, sondern eine ständige Präsenz, die darauf wartete, zuzuschlagen. Ihre Hand umklammerte den Dolch fester, während ihr Blick auf Kael fiel. Sein angespanntes Gesicht wirkte wie eine Maske aus Stein, doch seine Augen waren wachsam, als sähe er Dinge, die den anderen verborgen blieben. Elara war sich sicher: Sie waren nicht allein. Die Gruppe bewegte sich weiter, jeder Schritt war schwerfällig, die Anspannung fast greifbar. Der Nebel schien dichter zu werden, wie ein atmender Organismus, der sie einhüllte und ihre Bewegungen verlangsamte. Die zuvor noch schemenhaft erkennbaren Bäume waren jetzt nur noch dunkle Schatten in einer endlosen grauen Leere. Elara konnte das Gewicht des Dolchs in ihrer Hand spüren, ihre Finger klammerten sich darum, als sei er der letzte Anker zur Realität. „Haltet euch zusammen,“ flüsterte sie, doch ihre Stimme wirkte seltsam gedämpft, als würde der Nebel den Klang verschlucken. Die anderen reagierten mit stummen Nicken, ihre Gesichter waren bleich und ernst. Dann geschah es. Ein Schatten bewegte sich rasch am Rand ihres Blickfelds, kaum mehr als ein Flackern, das die Sinne alarmierte. Kael war der Erste, der stehen blieb, sein Blick fixierte sich auf einen Punkt tief im Nebel. „Da ist etwas,“ sagte er leise, seine Stimme klang angespannt, aber kontrolliert. Sein Schwert blitzte auf, als er es fester umfasste. „Ich sehe nichts,“ sagte Finn, doch seine Augen suchten unablässig die Umgebung ab. Neben ihm hob Rurik die Laterne, die ein schwaches Licht in die graue Düsternis warf, ohne viel zu enthüllen. „Bleibt wachsam. Das hier fühlt sich… falsch an.“ Plötzlich durchbrach ein hohes, unheimliches Kreischen die Stille. Es war ein Laut, der sich tief in die Knochen bohrte, als hätte der Nebel selbst einen Schrei ausgestoßen. Mira presste die Hände auf die Ohren, ihre Augen weit vor Schrecken. Clara zog sie instinktiv hinter sich, während sie selbst einen Dolch aus ihrem Mantel zog. „Vor uns!“ rief Rurik, und in der gleichen Sekunde stürmte eine Kreatur aus der grauen Wand. Sie war grotesk und verzerrt, ihr Körper schien aus Fetzen von Schatten und einer undefinierbaren Substanz zu bestehen, die sich ständig veränderte.

Zwei glühende Augen starrten die Gruppe an, voller unheilvoller Intelligenz und einer bösartigen Gier. Kael reagierte als Erster. Mit einem Satz stellte er sich zwischen die Kreatur und die anderen, sein Schwert in einer schützenden Haltung. „Bleibt hinter mir!“ Seine Stimme war hart, befahl keinen Widerspruch. Die Kreatur stürmte auf ihn zu, ihre Bewegungen waren unmenschlich schnell und unberechenbar. Elara spürte, wie ihr Herz raste. Sie zog ihren Dolch, obwohl sie wusste, dass er gegen dieses Ding kaum mehr war als ein Zahnstocher. „Kael, pass auf!“ rief sie, doch er hatte die Kreatur bereits erreicht. Mit einem schnellen Hieb traf er sie an der Seite, doch statt eines Schreis oder eines Rückzugs löste sich der getroffene Bereich einfach in Nebel auf, nur um sich sofort wieder zu formen. „Es funktioniert nicht,“ knurrte Kael, sein Blick suchte hektisch nach einer Schwachstelle. „Die Brust!“ rief Mira plötzlich, ihre Stimme zitterte, doch ihre Worte waren klar. „Ich glaube, das Licht dort ist ihr Schwachpunkt!“ Elara trat einen Schritt näher und suchte mit den Augen das Glühen, das Mira beschrieb. „Mira hat recht! Da ist es!“ Ihre Worte gaben Kael den Impuls, erneut zuzuschlagen. Ohne zu zögern stürmte er vor, zielte direkt darauf. Der Schwertstreich traf, und ein durchdringender Schrei erfüllte die Luft, als das Licht flackerte und erlosch. Die Kreatur brach in sich zusammen, ihre Form zerfiel, bis sie nichts weiter als ein dunkler Fleck auf dem Boden war, der sich langsam auflöste. Die Gruppe blieb regungslos stehen, jeder versuchte, seinen rasenden Atem zu beruhigen. Rurik war der Erste, der sprach. „Das war kein Zufall. Die haben uns erwartet.“ Clara legte eine Hand auf Miras Schulter, die noch immer zitterte. „Woher wusstest du das?“ fragte sie sanft. Mira sah zu ihr auf, ihre Augen groß und voller Furcht. „Ich weiß es nicht. Ich habe es einfach… gefühlt.“ Elara sah zwischen den anderen hin und her. Ihre Gedanken rasten. „Wir müssen vorsichtiger sein. Diese Dinger sind nicht einfach nur Monster. Sie sind…“ „Intelligent,“ beendete Kael ihren Satz. Sein Blick war dunkel, fast verloren. „Und sie lernen.“

Ein bedrückendes Schweigen legte sich über die Gruppe, während die Schatten des Nebels sie weiterhin zu umklammern schienen. Doch eines war jetzt klar: Ihre Reise würde noch viel gefährlicher werden. Die Gruppe bewegte sich hastig durch das dichte Unterholz, die Stille des Waldes wurde nur durch ihre schweren Atemzüge und das gelegentliche Rascheln der Blätter gebrochen. Rurik führte den Weg an, seine Augen suchten unablässig nach einem geeigneten Unterschlupf. Nach dem intensiven Kampf war jeder Schritt von Erschöpfung gezeichnet, doch keiner wagte es, die Geschwindigkeit zu drosseln. „Hier entlang“, murmelte Rurik schließlich, sein Blick fixierte einen schmalen Pfad, der zu einer kleinen Felsformation führte. Zwischen den Steinen entdeckte er eine Vertiefung, die wie eine primitive Höhle aussah. „Das sollte uns eine Weile Deckung bieten.“ Die Gruppe drängte sich in den engen Raum. Es war kein komfortabler Unterschlupf, aber er war trocken und bot Schutz vor neugierigen Blicken. Kael ließ sich schwer auf einen der Felsen sinken, während Mira sich an Clara lehnte, die sie schützend umarmte. Elara blieb in der Nähe des Eingangs stehen, ihr Blick wanderte zurück in die Dunkelheit, als erwarte sie, dass die Schatten ihnen folgen würden. Sie fragte sich, ob sie diese Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, überhaupt tragen konnte. Seit wann war sie zu einer Anführerin geworden? Es hätte Rurik sein sollen, mit seiner Erfahrung und Besonnenheit. Und doch sahen alle zu ihr, als erwarteten sie, dass sie den Weg wies. Ein leiser Zweifel nagte an ihr, gefolgt von einem aufkeimenden Trotz. Vielleicht konnte sie das. „Wir müssen reden“, begann Rurik, seine Stimme durchdringend, aber ruhig. „Dieser Kampf war zu knapp. Wir brauchen eine bessere Strategie.“ Finn nickte zustimmend, während er an der Schneide seiner Axt arbeitete. „Wir haben improvisiert und Glück gehabt. Aber das reicht nicht, wenn die nächsten Kreaturen stärker sind.“ Clara warf einen besorgten Blick auf Mira. „Wir können uns auch nicht darauf verlassen, dass Mira immer Hinweise gibt. Es ist zu viel Verantwortung für sie.“ Elara verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie hat uns gerettet. Wenn sie diese Verbindung zu den Kreaturen hat, müssen wir lernen, sie zu nutzen.“ „Nutzen?“, fragte Clara scharf. „Sie ist ein Kind, Elara. Kein Werkzeug.“ „Das sage ich auch nicht“, erwiderte Elara, ihre Stimme nahm einen scharfen Ton an. „Aber wir können es uns nicht leisten, diese Fähigkeit zu ignorieren. Wenn wir überleben wollen, müssen wir zusammenarbeiten – alle.“

Die Spannungen im Raum waren spürbar, doch es war Rurik, der das Gespräch wieder in geordnete Bahnen lenkte. „Elara hat recht. Jeder von uns hat Stärken, die wir einsetzen müssen. Aber Clara hat auch einen Punkt. Mira darf nicht überfordert werden. Wir müssen vorsichtig sein, wie wir vorgehen.“ Finn blickte auf, sein Gesichtsausdruck ernst. „Vielleicht sollten wir Rollen verteilen. Wer kämpft, wer schützt, wer beobachtet. Wenn jeder weiß, was zu tun ist, könnten wir im Ernstfall schneller reagieren.“ Kael, der bisher geschwiegen hatte, erhob sich langsam. Sein Blick war kalt, aber seine Worte hatten eine gewisse Schärfe. „Und was passiert, wenn der Plan scheitert? Wenn wir uns zu sehr auf eine Struktur verlassen, werden wir unflexibel. Die Kreaturen sind unberechenbar. Wir müssen es auch sein.“ Elara funkelte ihn an. „Unberechenbar ist nicht dasselbe wie planlos. Du kannst dich nicht immer aus der Verantwortung ziehen, Kael.“ Seine Augen trafen ihre, und für einen Moment schien es, als würde er etwas sagen, doch er schwieg. Stattdessen drehte er sich um und ging zum Eingang der Höhle, wo er in die Dunkelheit starrte. Sein Schweigen war wie eine unsichtbare Wand, die zwischen ihnen aufstieg. Innerlich tobte in ihm ein Sturm, doch er ließ sich nichts anmerken. Rurik seufzte und wandte sich wieder der Gruppe zu. „Wir alle tragen Verantwortung, Elara. Das schließt auch dich ein. Du bist gut darin, uns zu führen, aber wir brauchen mehr als nur Führung. Wir brauchen Vertrauen. Ohne das werden wir keinen Schritt weiterkommen.“ Elara wollte widersprechen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie spürte die Wahrheit in Ruriks Worten, doch das Gewicht der Verantwortung lastete schwer auf ihr. War sie wirklich die Richtige, um diese Gruppe zu führen? Ihr Blick wanderte zu Mira, die sich mit einem Ausdruck von Konzentration auf den Boden gesetzt hatte. Ihre kleinen Hände zeichneten unbewusst Formen in die Erde, Muster, die Elara nur allzu vertraut vorkamen. Mira brach die Stille. „Ich habe keine Angst vor den Runen. Sie fühlen sich… vertraut an. Vielleicht kann ich helfen.“ Clara sah sie an, ihre Augen voller Sorge, aber auch Bewunderung. „Du hast schon genug geholfen, Mira. Wir schaffen das gemeinsam.“ Elara schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Sie öffnete sie wieder und sprach, ihre Stimme fester als zuvor: „Clara hat recht, Mira. Aber deine Fähigkeit ist ein Geschenk. Wir müssen nur einen Weg finden, damit umzugehen, ohne dich zu belasten.“ Finn nickte langsam, seine Hand ruhte auf seiner Axt. „Vielleicht sollten wir auch üben, besser zusammenzuarbeiten. Ein gemeinsames Training könnte helfen, unsere Stärken zu koordinieren.“ Rurik hob die Karte an, die er bei sich trug, und deutete auf die nächsten möglichen Routen. „Das ist ein Anfang. Aber wir sollten auch darüber nachdenken, wie wir uns besser schützen können. Vorräte, Waffen, vielleicht sogar ein fester Zufluchtsort, den wir erreichen können.“ Die Gruppe sammelte sich, die Anspannung wich langsam einer gemeinsamen Entschlossenheit. Sie hatten keine Antworten, doch sie hatten ein Ziel: Überleben. Und vielleicht, nur vielleicht, eine Chance, den Nebel zu besiegen.

Die Nacht war still, aber die Ruhe war trügerisch. Die Gruppe hatte sich darauf geeinigt, Wachen aufzustellen, doch niemand schien wirklich Schlaf zu finden. Die Erschöpfung lastete auf ihnen, doch die Ereignisse des Tages ließen keinen Raum für Entspannung. Elara lag auf der harten Erde der Höhle und starrte an die Decke, wo die Schatten des flackernden Feuers wie lebendige Wesen tanzten. Ihre Gedanken waren ein chaotisches Durcheinander aus Sorgen, Schuldgefühlen und Zweifeln. „Warum ich?“ dachte sie erneut. Seit sie die Verantwortung für die Gruppe übernommen hatte, nagte der Zweifel an ihr. Rurik war weiser, erfahrener – er hätte diese Rolle übernehmen sollen. Doch alle Blicke richteten sich auf sie, und sie hatte keine Wahl gehabt. Oder doch? Sie presste die Lippen zusammen, während sie sich fragte, ob sie wirklich stark genug war, um diese Bürde zu tragen. Am Eingang der Höhle stand Kael. Seine Silhouette wirkte gegen das schummrige Licht des Feuers wie eine unnahbare Statue. Rurik, der auf einem flachen Stein saß, beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, bevor er leise zu sprechen begann. „Kael, du bist hier, weil du etwas suchst. Vielleicht solltest du uns endlich sagen, was das ist.“ Kael drehte den Kopf leicht zu ihm, doch seine Antwort kam nicht sofort. Stattdessen wanderte sein Blick hinaus in die Dunkelheit, als suchte er dort etwas, das er selbst nicht benennen konnte. „Ich suche Antworten. Genauso wie ihr. Aber manche Antworten können mehr zerstören, als sie lösen.“ Seine Stimme war ruhig, doch in ihr lag eine Schärfe, die deutlich machte, dass er nicht weiterreden würde. Elara setzte sich auf. Ihre Augen funkelten vor Ungeduld, doch bevor sie etwas sagen konnte, legte Finn ihr eine Hand auf die Schulter. „Lass ihn. Wir haben jetzt Wichtigeres zu klären.“ Clara, die sich mit Mira in eine Ecke der Höhle zurückgezogen hatte, nickte. „Wir sollten überlegen, wie wir weiterziehen. Diese Kreaturen werden nicht weniger, und ich bezweifle, dass wir lange in diesem Unterschlupf sicher sind.“ Mira hob den Kopf und sah Clara mit großen Augen an. „Sie sind hier. Sie sind immer hier.“ Ihre Stimme war leise, aber bestimmt. „Sie spüren uns.“ Die Worte des Mädchens ließen einen kalten Schauder durch die Gruppe laufen. Rurik legte die Karte, die er ausgerollt hatte, beiseite und blickte Mira ernst an. „Kannst du sie fühlen? Oder sehen?“ Mira zögerte, bevor sie langsam nickte. „Nicht sehen. Nicht wirklich. Aber ich weiß, wo sie sind. Es ist wie… ein Flüstern in meinem Kopf. Sie kommen näher.“ „Da! Die Schatten bewegen sich!“ rief Mira plötzlich und zeigte auf die Wände. „Sie kommen nicht rein, aber… sie warten.“ Elara reagierte sofort. „Mira hat recht,“ sagte sie, ihre Stimme ruhig, aber eindringlich. „Wir müssen uns vorbereiten. Wenn sie kommen, dürfen wir nicht unvorbereitet sein.“ „Und wohin wollen wir gehen?“ fragte Clara skeptisch. „Wir haben keinen Plan, keine Richtung. Alles, was wir tun, ist, zu überleben. Aber wie lange wird das reichen?“ Finn richtete sich auf und zog seine Axt aus dem Boden, wo er sie gesteckt hatte. „So lange, wie wir müssen. Aber Clara hat recht. Wir brauchen einen Plan.“ Rurik nahm die Karte wieder in die Hand und deutete auf einen Punkt, der weiter nordöstlich lag. „Hier. Eine alte Anlage, die früher als Zuflucht genutzt wurde. Es könnte riskant sein, aber es ist besser als ziellos umherzuziehen.“

Kael trat näher und betrachtete die Karte. Sein Blick war konzentriert, seine Stirn in Falten gelegt. „Das könnte funktionieren. Aber wir müssen vorsichtig sein. Jeder Ort, der früher sicher war, ist jetzt eine potenzielle Falle.“ Elara nickte und erhob sich. Ihre Unsicherheiten blieben, doch sie wusste, dass sie jetzt handeln musste. „Dann lasst uns die Zeit nutzen, die wir haben. Mira, kannst du uns sagen, wie nah sie sind?“ Das Mädchen schloss die Augen, ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten. Nach einem Moment öffnete sie sie wieder und sah Elara mit einer Mischung aus Furcht und Entschlossenheit an. „Nicht weit. Aber noch nicht hier.“ „Gut,“ sagte Elara. „Wir brechen auf, sobald wir genug Kraft gesammelt haben. Jeder bereitet sich vor. Keine Unachtsamkeiten.“ Die Gruppe verstreute sich in der Höhle, jeder mit seinen eigenen Gedanken und Aufgaben beschäftigt. Doch die Schatten, die sich langsam über die Wände bewegten, schienen die wachsende Gefahr bereits anzukündigen. Kael stand einen Moment länger am Eingang, seine Augen suchten in der Dunkelheit. Etwas in ihm schien auf eine Antwort zu warten, die er noch nicht finden konnte. Doch während die Gruppe neue Entschlossenheit fand, war es Kael, der in die Dunkelheit starrte, als würde sie ihm mehr versprechen, als er aussprechen konnte. Der Morgen kam grau und wolkenverhangen, der Himmel ein unruhiges Gemisch aus Asche und Nebel. Die Gruppe hatte die Nacht in der Höhle verbracht, doch an Erholung war kaum zu denken gewesen. Jeder von ihnen war wachsam geblieben, die Nähe des Unbekannten wie eine unsichtbare Hand, die ihren Atem an den Rändern ihrer Gedanken erstickte. Elara stand am Ausgang der Höhle und blickte in die trübe Landschaft. Die Bäume standen stumm wie Wächter, ihre Zweige wirkten wie knorrige Finger, die in den Himmel griffen. Der Nebel waberte zwischen den Stämmen, düster und lebendig. Sie spürte, wie ihre Hand zu ihrem Dolch wanderte, ein Reflex, der sie kaum beruhigte. Kael trat neben sie, sein Gesicht unlesbar wie immer. „Bereit?“ fragte er, ohne sie anzusehen. Sie nickte, ihre Stimme ruhig, doch innerlich brodelte es. „Wir haben keine Wahl.“ Hinter ihnen begann die Gruppe sich zu sammeln. Rurik rollte die Karte ein und verstaute sie in seinem Mantel, während Finn seine Axt überprüfte. Clara kniete vor Mira, die still neben ihr saß und mit ihren Fingern kleine Kreise in den Boden malte. „Wir gehen jetzt weiter, Mira,“ sagte Clara sanft. „Bleib nah bei uns, okay?“ Das Mädchen sah auf und nickte langsam. Doch in ihren Augen lag eine Wachsamkeit, die nicht zu ihrem Alter passte. Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Der Pfad war schmal und verwachsen, die Dunkelheit des Waldes verschluckte das schwache Licht, das durch die Wolkendecke sickerte. Jeder Schritt war begleitet von der Anspannung, die ihnen in den Knochen lag. „Bleibt wachsam,“ sagte Rurik leise, sein Blick blieb ruhelos zwischen den Schatten hängen. „Wenn Mira recht hat, könnten sie uns schon verfolgen.“ Elara warf ihm einen Blick zu. „Dann sollten wir schneller sein, als sie es erwarten.“ Plötzlich blieb Mira stehen. Ihr Atem ging schneller, und ihre Augen wurden groß. „Sie kommen,“ flüsterte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauchen. „Ich kann sie spüren.“ Die Gruppe hielt an, ihre Blicke suchten die Umgebung ab. Der Nebel schien dichter zu werden, wie eine lebendige Mauer, die sie umschloss. Kael zog sein Schwert, die Klinge glänzte matt im schwachen Licht. „Formieren,“ befahl Elara, ihre Stimme fest, obwohl ihr Herz raste. „Mira, bleib bei Clara. Finn, Rurik, bei mir.“

Ein Schatten bewegte sich am Rand ihres Blickfeldes, kaum greifbar, und doch eindeutig da. Das tiefe Grollen, das sie in der Nacht gehört hatten, kehrte zurück, diesmal lauter und näher. Es war, als wäre der Nebel selbst der Atem eines gigantischen Wesens, das sie jagte. „Links!“ rief Finn, als eine Gestalt aus dem Nebel hervorbrach. Sie war groß und verzerrt, ihre Bewegungen waren unnatürlich schnell. Doch diesmal waren sie vorbereitet. Finn schwang seine Axt, und der Aufprall ließ die Kreatur zurücktaumeln. Rurik nutzte den Moment und warf einen schweren Stein, der die Kreatur am Kopf traf. Mira schrie auf, ihre Augen fixierten ein flackerndes Licht im Nebel. „Da ist noch eine! Die Runen, an der Seite!“ Elara reagierte instinktiv. Sie zog ihren Dolch und stürzte vor, ihr Blick auf die Stelle gerichtet, die Mira gezeigt hatte. Mit einer geschickten Bewegung stieß sie die Waffe in das pulsierende Licht, und die Kreatur brach zusammen, ihre Form zerfloss im Nebel. Doch sie hatten keine Zeit zu verschnaufen. Weitere Schatten tauchten auf, jede Bewegung der Gruppe schien sie anzulocken. „Rückzug!“ rief Kael, seine Stimme scharf und befehlend. „Wir können sie hier nicht alle besiegen. Zurück zur Anhöhe!“ Die Gruppe bewegte sich hastig, jeder Deckung suchend, während sie sich durch den Wald zurückzogen. Die Kreaturen folgten, ihre grollenden Laute hallten durch die Dunkelheit. Doch es war Mira, die sie leitete, ihre Augen schienen die Bewegungen der Schatten zu erahnen, bevor sie kamen. Als sie schließlich die Anhöhe erreichten, wo der Nebel dünner war, hielten die Kreaturen inne. Es war, als wäre eine unsichtbare Barriere gezogen, die sie nicht überqueren konnten. Der Boden vor ihnen zeigte seltsame Muster, eingeritzt in den Sand und in den Stein darunter. Schwache, verblasste Runen zogen sich in einer konzentrischen Anordnung über den Boden, manche kaum noch erkennbar, als hätte die Zeit sie fast verschluckt. „Seht euch das an,“ sagte Elara leise und kniete sich hin, um die Zeichen genauer zu betrachten. Ihre Finger fuhren über die Linien, die sich kalt und rau anfühlten, als ob sie die Erinnerung an ihre eigene Kraft bewahrten. „Runen,“ murmelte Rurik und trat näher. „Aber nicht von dieser Welt. Wer auch immer sie hier gemacht hat, wusste, was er tat.“ Mira schob sich langsam an Claras Seite nach vorne, ihre großen Augen auf die Muster geheftet. „Ich kenne das Gefühl,“ flüsterte sie, kaum hörbar. „Es ist wie… die Runen in der Mühle. Aber anders. Sie fühlen sich warm an. Beschützend.“ Kael blieb am Rand der Anhöhe stehen, sein Blick war wachsam. „Vielleicht halten sie die Kreaturen zurück,“ sagte er schließlich. „Das erklärt, warum sie nicht weitergehen.“ Rurik nickte, doch er wirkte nicht ganz überzeugt. „Die Frage ist, wie lange sie das noch tun können. Und wer sie hier zurückgelassen hat.“ Elara richtete sich auf, ihre Gedanken rasten. War dies ein Zufluchtsort, ein letzter Schutz in einer Welt, die vom Nebel verschlungen wurde? Oder war es nur ein weiterer Hinweis auf die dunklen Kräfte, die sich unaufhaltsam näherten?

Clara kniete sich vor Mira, ihre Stimme war leise und beruhigend. „Alles in Ordnung? Du hast uns geführt, Mira. Du hast uns gerettet.“ Mira nickte zögernd, doch ihre kleinen Hände zitterten. „Ich… ich weiß nicht, warum ich es weiß. Aber es fühlt sich richtig an.“ Kael beobachtete das Mädchen aus den Augenwinkeln, sein Gesicht blieb ausdruckslos, doch seine Finger spielten nervös am Griff seines Schwertes. „Du siehst mehr, als du selbst begreifst,“ sagte er schließlich, seine Stimme leise, aber durchdringend. „Und das macht dich besonders. Vielleicht auch gefährlich.“ Mira senkte den Blick, während Clara sie schützend an sich zog. „Gefährlich ist sie nur für die, die uns angreifen,“ erwiderte Clara mit fester Stimme. Elara hingegen war in Gedanken versunken. Die knappe Flucht hatte ihr erneut gezeigt, wie dünn der Faden war, an dem sie alle hingen. Ihre Verantwortung wog schwerer denn je, und die Runen auf der Anhöhe schienen wie ein Symbol für etwas Größeres – etwas, das sie noch nicht greifen konnte. Doch eines war sicher: Der nächste Schritt würde noch gefährlicher werden. Am Horizont begann sich der Nebel zu bewegen, als würde er eine neue Form annehmen. Kael starrte in die Ferne, seine Augen verengten sich. „Das war nicht das Ende,“ murmelte er. „Nur der Anfang.“ Der Nebel um die Anhöhe blieb still, als würde er die Gruppe beobachten. Während sie sich sammelten, schien die Welt um sie herum in einem angespannten Schweigen zu verharren. Elara trat an den Rand der Anhöhe und ließ ihren Blick über die Schwaden gleiten, die sich träge bewegten, als wären sie ein lebendiger Organismus. „Was jetzt?“ fragte Finn, seine Stimme durch die Anstrengung des Kampfes rau. Seine Axt ruhte auf dem Boden, während er sich mit einer Hand an einem der wenigen stehenden Bäume abstützte. „Wir brauchen Antworten,“ sagte Rurik, der die Runen auf dem Boden untersuchte. Seine Finger glitten über die verblassten Zeichen, und sein Gesichtsausdruck war konzentriert. „Diese Symbole haben etwas an sich, das mir vertraut vorkommt. Sie könnten uns den nächsten Schritt weisen.“ „Runen, die beschützen,“ murmelte Elara, ihre Gedanken wanderten zu Miras Worte. Sie drehte sich zu dem Mädchen um, das noch immer schutzsuchend an Clara lehnte. „Mira, kannst du uns mehr über das Gefühl sagen? Wie genau fühlt es sich an?“ Mira sah zu ihr auf, ihre Augen wirkten erschöpft, aber klar. „Es ist wie… ein Lied. Es singt nicht wirklich, aber ich spüre es in meinem Kopf, in meinem Herzen. Es sagt mir, dass wir hier sicher sind, aber… es warnt mich auch.“ „Warnt dich?“ Kael trat einen Schritt näher, seine Stimme war ruhig, aber seine Augen suchten nach etwas in Miras Gesicht. „Was sagt es dir?“ Das Mädchen zögerte, bevor sie antwortete. „Dass wir schnell sein müssen. Dass sie stärker werden, wenn wir zu lange bleiben.“

Ein bedrücktes Schweigen legte sich über die Gruppe. Clara kniete sich zu Mira hinab und legte ihr beruhigend die Hände auf die Schultern. „Wir werden nicht zu lange bleiben. Aber du musst uns helfen, Mira. Wenn du etwas spürst, wenn sich etwas ändert – sag es uns sofort.“ Elara spürte die Schwere der Verantwortung auf ihren Schultern wachsen. Sie sah zu Kael, dessen Blick wieder auf den Nebel gerichtet war, als würde er darin etwas sehen, was die anderen nicht erkennen konnten. „Du hast das auch gespürt, oder?“ fragte sie leise. Kael sah sie an, sein Gesicht ausdruckslos. „Vielleicht. Aber das ändert nichts daran, dass wir uns beeilen müssen.” Rurik stand auf, klopfte den Staub von seinen Händen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Dann sollten wir uns aufteilen. Wir brauchen Informationen über die Umgebung. Ich könnte die Runen genauer untersuchen, während ihr nach Hinweisen sucht.“ „Aufteilen?“ Clara warf ihm einen besorgten Blick zu. „Ist das nicht zu gefährlich?“ „Alles ist gefährlich,“ sagte Rurik trocken. „Aber wir können uns keine Zeitverluste erlauben. Wenn wir verstehen, was diese Runen bedeuten, könnten wir einen Vorteil gegen den Nebel gewinnen.“ „Elara?“ Finn wandte sich an sie, seine Stimme zeigte, dass er bereit war, ihrer Entscheidung zu folgen. Elara atmete tief durch, bevor sie sprach. „Wir bleiben zusammen. Keine Aufteilung. Wenn die Kreaturen zurückkommen, müssen wir vorbereitet sein. Wir suchen gemeinsam nach Antworten.“ Die Gruppe nickte, und sie begannen, die Anhöhe und ihre Umgebung zu durchsuchen. Rurik widmete sich den Runen, während die anderen den Nebel beobachteten, stets wachsam und mit einem Gefühl der Dringlichkeit. Die Anhöhe war ein merkwürdiger Ort. Zwischen den Steinen und Wurzeln fanden sich verblasste Runen, als hätte jemand sie hastig in den Sand gezeichnet. Einige leuchteten schwach, ein pulsierendes Glimmen, das sich mit dem Atem der Gruppe zu synchronisieren schien. Rurik kniete sich hin, berührte vorsichtig eine der Runen und flüsterte: „Sie sind alt… älter als alles, was ich je gesehen habe.“ „Warum sind sie hier?“ fragte Clara und hielt Mira eng an sich, während sie über die unheimliche Umgebung blickte. „Vielleicht ein Schutz,“ murmelte Rurik. „Etwas, das verhindert, dass der Nebel diesen Ort verschlingt.“

Kael schien die Worte kaum zu hören. Er stand abseits, sein Blick war auf eine Stelle im Nebel fixiert. Etwas in seinen Augen verriet Unruhe. „Es fühlt sich an wie ein Gefängnis,“ sagte er leise. „Aber für wen?“ Elara trat neben ihn, ihre Stimme war angespannt. „Hast du etwas gesehen?“ Kael schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber sie sind nicht weg. Sie beobachten uns.“ Am Horizont begann sich der Nebel wieder zu bewegen, seine Form schien sich zu verdichten und zu verstärken. Kaels Hand wanderte instinktiv zu seinem Schwert, während er murmelte: „Sie kommen. Und sie lernen.“ Mit diesen Worten bereitete sich die Gruppe auf das vor, was als Nächstes kommen würde.

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