Reincarnated in another World (with too much sarcasm to live) – Kapitel 1

„Willkommen in Eirenhall, Waltraud. Wir beten dich an.“

Ich erwachte mit dem Geschmack von Lavendel auf der Zunge und einem Kissen im Rücken, das eindeutig mehr Wert hatte als meine gesamte Ikea-Einrichtung zu Lebzeiten.

Die Decke über mir war keine Decke, sie war ein Kunstwerk. Brokat. Goldfäden. Aufgestickte Sonnenmotive, die mir ins Gesicht grinsten wie Sektenführer auf einem Marzipanaltar. Ich blinzelte. Blieb liegen. Und versuchte, nicht sofort wieder sarkastisch zu werden.

Es gelang mir exakt drei Sekunden.

„Wenn das hier der Himmel ist, dann haben sie bei der Innenarchitektin gespart und stattdessen das Budget für Protz verdoppelt.“

Ich drehte den Kopf zur Seite. Der Raum war groß. Zu groß. Der Boden aus echtem Holz, aber mit so vielen Lackschichten, dass ich mir sicher war, man könnte darauf Schlittschuh laufen. An den Wänden hingen Gemälde, entweder Familienporträts oder religiöse Ikonen, in diesem Fall kaum voneinander zu unterscheiden. Überall schimmerten Textilien, Kerzenhalter, kleine Goldreliefs, ein Beistelltisch aus Marmor mit floraler Intarsien und auf diesem Tisch stand: Tee.

Ich setzte mich auf. Wackelte leicht. Mein Körper war immer noch zu jung, zu leicht, zu… gelenkig. Ich hatte das Gewicht einer Sechzehnjährigen, den Wortschatz einer Enddreißigerin und das Temperament einer altgedienten Kabarettisten. Ich griff nach der Tasse. Warme, blumige Mischung. Ich nahm einen Schluck. Immerhin etwas. Offenbar darf ich sarkastisch sein und trotzdem Tee trinken. Vielleicht ist das doch nicht die Hölle.

Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, ging die Tür auf. Langsam. Knarren. Als hätte jemand im Nebenraum „Jetzt dramatisch eintreten“ gesagt.

Eine Frau trat ein. Groß. Dünn. In ein taubenblaues Kleid gehüllt, das über den Boden rauschte wie ein Wasserfall in Zeitlupe.

Ihre Haare waren silbergrau, zu einem kunstvollen Knoten gewickelt. Ihre Haut so makellos, dass sie wächsern wirkte. Und ihr Blick – fest, freundlich und voller devoter Besorgnis – war der eines Menschen, der sein ganzes Leben dafür trainiert hat, jemand anderem niemals zu widersprechen.

„Guten Morgen, Waltraud.“

Sie neigte sich leicht.

„Ich hoffe, Ihr habt gut geruht.“

Ich sah sie an.

Sie sah mich an.

Dann geschah es. Ein kurzes Zucken. Mein rechter Mundwinkel zuckte. Mein linkes Auge auch. Nicht, weil ich unhöflich sein wollte. Nicht, weil ich sie nicht mochte. Sondern weil sie es gesagt hatte.

Waltraud.

Da war es wieder. Das Wort. Der Name. Dieses verdammte geräuschgewordene Trauerlied. Es fühlte sich an wie eine Mischung aus Handarbeit verein, Bausparvertrag und Rosamunde-Pilcher-Boxset.

Ich atmete durch.

Lächelte gezwungen.

„Guten Morgen“, sagte ich. „Sie dürfen mich auch einfach ‚Hey du‘ nennen.“

Sie wirkte irritiert. Aber sie fasste sich schnell.

„Mein Name ist Lady Virania. Ich… bin Eure Tante. Zumindest in dieser Welt.“

Na, das wird ja immer besser. Ich bin die Nichte eines Lady-NPCs. Wetten, ich krieg bald ein Pony und muss lernen, wie man galant niest?

„Ich weiß, dies ist gewiss verwirrend für Euch. Wenn Ihr möchtet, kann ich Euch durch das Anwesen führen. Euer Zimmer, die Gemächer, der Gebetssaal, die Bibliothek—”

Ich hob die Hand.

„Moment. Ich bin also… eine Art Adlige?“

Sie blinzelte.

„Ihr seid Waltraud von Eirenhall, Trägerin des Sigils. Die Erwählte des Lichts.“

Ich starrte sie an.

Sie lächelte milde.

Ich trank den Tee aus. In einem Zug. Das wird anstrengender, als ich dachte.

Lady Virania führte mich durch einen Flur, der aussah wie die Kollaboration eines Palastarchitekten mit einem Dekosüchtigen auf Pilzen. Säulen, Wandteppiche, Spiegel, die so groß waren, dass ich mich fragte, ob man sie auch als Fluchmonitore nutzen könnte. Überall goldene Verzierungen. Überall Symbole: Sonnen, Spiralen, weiße Flammen.

„Euren Gemächern vorgelagert ist der innere Heilkreis“, sagte Lady Virania mit einer Geste Richtung Boden.

Ich sah: ein Mosaik aus leuchtendem Stein.

Ich hörte: Heilkreis.

Ich dachte: Das ist also eine Welt, in der selbst die Fußmatte dich segnet, ob du willst oder nicht.

Wir gingen weiter. Zwei Bedienstete öffneten uns die Tür zur großen Halle, einem Raum mit zu vielen Stühlen, zu viel Luft und zu wenig Distanz zur Realität. Am anderen Ende des Raumes warteten zwei Personen. Ein junger Mann mit silbernem Haar, in eine Uniform gehüllt, die ihn wie einen wandelnden Wandteppich wirken ließ. Und ein Mädchen, vielleicht fünfzehn, in einem Kleid, das bei jedem Schritt klimperte.

„Euer Bruder Leontius und Eure Cousine Emerelle“, sagte Lady Virania.

Leontius verneigte sich knapp.

„Waltraud. Schwester. Es ist eine Ehre.“

Ich wollte schon etwas sagen, – vermutlich eine Variation von „Hör auf, mich so zu nennen, sonst fang ich an zu schreien“ –, aber dann sah ich in sein Gesicht. Kühl. Beherrscht. Aber auch… verunsichert? Wie jemand, der seine Rolle kennt, aber das Stück nicht versteht.

„Emerelle“, sagte das Mädchen und machte einen Knicks, bei dem ein Glöckchen an ihrem Kleid erklang. Natürlich hat dieses Kleid Glöckchen, dachte ich. Warum auch nicht?

„Wir sind sehr glücklich, dass Ihr erwacht seid“, sagte sie mit einem Lächeln, das so freundlich war, dass es fast schon als passiv-aggressiv durchgehen konnte.

„Seit Wochen wird von Eurer Rückkehr gesprochen.“

„Von meiner… Rückkehr?“, fragte ich. „Ich war also… weg?“

Lady Virania trat neben mich.

„Euer Geist wanderte, als das Licht Euch berührte. Es war nötig, damit Ihr Euch… vervollständigen konntet.“

Ich blinzelte.

Einmal. Zweimal.

„Das klingt, als hätte ich ein Firmware-Update bekommen.“

Ich sagte das nicht laut. Ich hatte aus dem WLAN-Witz gelernt. Halb.

Leontius deutete auf ein kleines Tischchen mit gepolsterten Sesseln.

„Möchtest du dich setzen? Das Frühstück ist bereit.“

Ich nickte. Trotz allem war mein Magen real. Und in dieser neuen Welt, so absurd sie auch war, roch Toast nach Toast. Das war immerhin beruhigend. Ich setzte mich. Ein Diener reichte mir ein Tablett mit Tee, Gebäck, dampfenden Schalen voller Dinge, die aussahen wie Rührei, aber nach Vanille Rochen. Ich griff zu. Biss vorsichtig hinein. Kauen. Schlucken.

Schmeckt nach… süßem Himmel und kulturellem Missverständnis.

Emerelle musterte mich.

„Wenn ich fragen darf, verehrte Schwester… spürt Ihr das Licht bereits in Euch?“

Ich verschluckte mich fast.

„Das… äh. Kommt drauf an. Was genau meint ihr mit Licht?“

Sie errötet. Leontius senkte den Blick. Lady Virania räusperte sich.

„Es… ist schwer zu beschreiben. Es ist das innere Leuchten, das Strahlen des Erwachens. Eure Präsenz allein hat schon drei Lichter in den Nordtürmen entzündet.“

Ich hielt inne.

„Ich hab seit meinem Erwachen nicht mal das Zimmer verlassen.“

„Eben!“

Emerelle sah begeistert aus.

„Das ist es ja! Ihr… seid bereits über den Ort hinausgewachsen. Eure Präsenz wirkt!“

Ich starrte sie an. Dann starrte ich mein Brötchen an. Dann seufzte ich. Großartig. Ich atme und schon entzünde ich Architektur.

Nach dem Frühstück – das sich trotz aller Begleitumstände als der einzige unaufdringliche Teil dieses Morgens erwies – blieb ich allein zurück. Lady Virania hatte sich verabschiedet, mit einem Satz, der so höflich formuliert war, dass ich ihn dreimal interpretieren musste, bevor ich begriff, dass sie einfach weg musste. Leontius und Emerelle folgten ihr, beide mit diesem Blick, den Menschen haben, wenn sie zwar viel fragen wollen, aber noch mehr Angst vor der Antwort haben. Ich hingegen saß da, sah den dampfenden Tee an – und tat dann das Einzige, was mir logisch erschien: Ich ging zum Fenster.

Es war groß. Natürlich war es das.

Ein Bogenfenster mit goldenem Rahmen, verziert mit geschnitzten Symbolen, die entweder Sonnen, Augen oder explodierende Schneeflocken darstellen sollten. Ich lehnte mich leicht vor und schob einen der Flügel auf. Die Luft war kühl. Klar. Ein Hauch von irgendwas Blütigem lag in der Luft, Lavendel vielleicht, oder was auch immer man in Fantasygärten züchtet, wenn man Religion mit Dekadenz kreuzt. Und dann sah ich es.

Die Welt.

Ein Tal, eingerahmt von Bergen, die so dramatisch geformt waren, dass sie in einem JRPG als „Tor des Erwachens“ durchgegangen wären. Wälder, saftig und perfekt platziert wie aus einem Gemälde.

Ein Fluss, der sich in leichten Bögen durch das Land wand und, natürlich, eine Burg auf einem Hügel in der Ferne, mit Türmen, die viel zu hoch waren, um statisch Sinn zu ergeben. Direkt vor dem Fenster: ein Garten.

Rund, symmetrisch, mit Statuen, die eindeutig nicht nur Zierde waren. Ich erkannte mindestens drei Zaubersiegel und zwei Rituale, die irgendetwas mit Fruchtbarkeit oder Blitzschlag zu tun hatten.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand.

Stille. Nur der Wind.

„Okay, Waltraud. Du bist in einer Welt gelandet, in der selbst die Beete magische Eigenschaften haben. Wo du niemandem ironisch ins Gesicht sagen kannst, dass du keine Retterin bist, weil sie dir sonst ein Tempel bauen. Und du trägst ein Nachthemd mit Spitzenärmeln.“

Ich schloss die Augen. Ein kurzer Moment der Sammlung. Ich spürte etwas. Keine Stimme. Kein Licht. Kein Tutorial. Aber ein Kribbeln. Unter der Haut. Wie Strom. Wie Erwartung. Wie… Magie? Ich öffnete die Augen.

Ein Spiegel am anderen Ende des Raumes zersprang. Ohne Vorwarnung. Ohne Geste. Ohne Drama. Einfach so: krach. Splitter flogen zu Boden wie glasgewordene Beleidigungen.

Die Tür öffnete sich. Eine Magd – jung, mit geflochtenem Haar und viel zu großen Augen – trat ein. Sie sah den Spiegel. Sah mich. Und fiel auf die Knie.

„Es ist wahr“, flüsterte sie.

„Sie hat das Licht berufen, ohne ein Wort!“

Ich hob die Hände.

„Moment, das war ein Unfall. Ich hab nichts berufen. Das war… eine Art innerer Kurzschluss.“

Sie hob den Kopf, Tränen in den Augen.

„Sie spricht in Gleichnissen!“

Ich starrte sie an. Dann auf die Scherben. Dann zurück auf die Welt vor dem Fenster. Ich bin in einer Welt gelandet, in der ein Nervenzusammenbruch zur religiösen Erfahrung wird. Ich bin geliefert.

Ich saß wieder. Diesmal in einem anderen Raum, mit einer anderen Tasse Tee, in einem anderen Sessel, aber der Unterschied war minimal. Überall roch es nach Lavendel und Ehrfurcht. Ich war inzwischen überzeugt, dass in diesem Schloss jeder Raum als Schrein durchgehen könnte, wenn man nur genug Kerzen aufstellt.

Der Spiegel war beseitigt worden. Ohne ein Wort. Ohne ein Gespräch. Man hatte ihn kommentarlos durch einen Vorhang ersetzt.

Ich hatte nicht gefragt. Ich wollte nicht noch ein Wunder vollbringen, nur weil ich Niesen. Stattdessen wartete ich auf den nächsten Akt dieser Farce. Und der ließ nicht lange auf sich warten.

Er kam nicht durch die Tür. Er fiel durchs Fenster. Zumindest klang es so. Ein Scheppern, ein leichtes „Autsch“, dann das Geräusch von springenden Stofflagen und das endgültige Plumps, als er landete.

Ich hob nicht mal den Kopf.

„Das Fenster war offen“, sagte eine Stimme, hell und schnippisch. „Das zählt als Einladung, oder?“

Ich sah auf. Er war jung. Jünger als ich, oder zumindest so wirkte er. Bunt gekleidet, mit Glöckchen an den Ärmeln, die bei jedem Schritt ein leichtes mimimimimi von sich gaben. Er trug ein schiefes Grinsen und ein Monokel aus Glas, das kein Auge verdeckte, sondern wie ein Accessoire in der Stirn hing.

Und er hatte dieses Funkeln in den Augen, nicht göttlich, sondern… intelligent. Wach. Zu wach.

„Hofnarr Brildo“, sagte er und verbeugte sich, als wäre ich ein Publikum.

„Ehrenamtlich zuständig für geistige Hygiene und Spott in sakralen Hallen.“

Ich hob eine Braue.

„Du bist also der erste Mensch hier, der Witze machen darf?“

Er setzte sich, ohne gefragt zu haben, ohne Erlaubnis, einfach so. Ein weiteres Indiz dafür, dass er entweder irre war, oder klarsichtig.

„Ach, Witze darf hier jeder machen. Nur keiner erkennt sie. Es ist ein bisschen wie Pantomime auf einem Blindenkongress.“

Ich starrte ihn an. Er grinste. Ich lachte. Kurz. Er wurde ernst.

„Du bist nicht wie sie“, sagte er. „Deine Augen. Sie flackern nicht, sie… beobachten. Du redest nicht wie jemand, der sich für göttlich hält. Du redest wie jemand, der schon mal an einem Kantinenklo stand und die Existenz in Frage gestellt hat.“

Ich zog die Schultern hoch.

„Tja. Ich bin halt… eine etwas andere Auserwählte.“

„Du bist gar keine, oder?“

Stille. Ein Flügel einer der Vorhänge bewegte sich im Wind. Ich antwortete nicht.

Brildo grinste wieder.

„Gut. Dann haben wir uns verstanden.“

Er stand auf. Richtete sein Monokel.

„Ich bin übrigens dein Sicherheitsventil. Wenn du irgendwann das Bedürfnis hast, aus dem Fenster zu springen, sag einfach Bescheid. Ich zeig dir den Balkon, der hat bessere Aussicht.“

Ich sah ihm nach. Dann sagte ich leise:

„Wenigstens einer hier, der Ironie erkennt, ohne sie in eine Prophezeiung zu übersetzen.“

Er winkte im Gehen.

„Noch nicht zu früh freuen, Waltraud. Ich bin Narr. Nicht Idiot.“

Und dann war er weg.

Hinterlasse einen Kommentar

Erstelle eine Website oder ein Blog auf WordPress.com

Nach oben ↑